Kapitel 10: Das Hinterhaus (25 Jahre Ox-Fesival im Getaway, Solingen)

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Kapitel X: Das Hinterhaus

25 Jahre Ox-Festival im Getaway, Solingen, am 7. Februar 2014
mit Love A, Vitamin X, Asta Kask, Generators, Church Of Cycology, Ärger Now, Blank When Zero

Dieser Artikel ist Teil des fortlaufenden Romans „Auf der Suche nach der goldenen Pommesgabel“. Infos dazu gibt es hier.

Er starrte aus dem Fenster und wartete darauf, dass der Wind irgendetwas umweht, als plötzlich das Telefon klingelte: „Ringeldidingel.“ Und noch einmal: „Ring Ring Dingeldiding.“ Er mochte es nicht, wenn ihn jemand anrief, während er sich gerade konzentrieren musste. Doch eine gewisse Vorahnung hielt ihn davon ab, das Klingeln zu überhören.

Ohne übertriebene Gewalt anzuwenden riss er sich vom Fenster los, warf die Senseomaschine an und platzierte zwei gefrorene Toastscheiben in den extra dafür erfundenen Toaster. Solche Erfinder konnten ihn faszinieren und er fragte sich, ob es Sinn machen würde, diese Idee nach England zu verkaufen. Als die Toastscheiben aufgetaut, aber noch lange nicht knusprig waren, fingerte er diese aus den Toasterschlitzen, bevor er den Zweitassenknopf der Senseomaschine betätigte. Er belegte die Toastscheiben mit Wilmersburger und stellte kurz danach – nicht zum ersten Mal in diesem Jahr – fest, dass weder ein Kaffeepad eingelegt, noch der Deckel zugeklappt war.

Also wischte er das Wasser von der Spülmaschine, auf welcher die Senseomaschine ihr tristes Dasein absaß und wiederholte die Prozedur. Eine knappe Minute später war sein Frühstück endlich zubereitet und er nahm den Telefonhörer ab:

„Hallo!? Hallooo…?! Aufgelegt, Arschloch!“

Als er gerade in seine kalten, fast getoasteten Toastscheiben beißen wollte, zogen draußen dunkle Wolken auf und der Sturm potenzierte sich in ungeahnte Potenzen. Aber fragt nicht nach Sonnenschein. Dann setzte Halloween-Horror-Musik ein, alle Türen und Fenster öffneten sich und das Telefon klingelte erneut. Als er den Hörer abnahm quoll Nebel aus der Sprachmuschel und eine finstere Stimme sprach: „Ich weiß wo man es kriegen kann, wenn Sie es haben wollen.“ „Was?“ „Wir haben noch haufenweise davon, hinten im Haus!“ „Was? In welchem Haus?“ „Kerl ey, im Getaway in Solingen!“

Getaway in Solingen. Er hatte schon mal davon gehört und überflog rasch seinen digitalen Posteingang. Schon nach wenigen Stunden stieß er auf das, was er gesucht hatte: „25 Jahre Ox, das Festival. Heute im Getaway, Solingen.“ Sollte dort wirklich die Goldene Pommesgabel versteckt sein? Es gab keinen Zweifel. Diese Seriosität in der Stimme des anonymen Anrufers konnte nicht lügen. Die Zukunft und die Welt waren gerettet. Klar gibt es wichtigeres im Leben, aber nicht in Eurem.

Als er mit seiner Freundin in Solingen ankam machten sie sich direkt auf die Suche und waren sich schnell einig: Die Goldene Pommesgabel war sicher in diesem Kneipenraum, in dem sie vor wenigen Jahren bei einem von Jay Triplechair veranstalteten The Yum Yums-Konzert verweilten. Es war ein großartiger Abend, zu einer Zeit, in dem er noch naiv genug war um von einer Existenz einer Golden Pommesgabel nicht einmal etwas zu ahnen. Also liefen sie hin und liefen her und liefen hin und liefen her und abschließend noch mal hin. Und her. Doch so sehr sie auch suchten, sie fanden nicht einmal den Raum. Bis er sich mit einem lauten Knall mit der flachen Hand vor die Stirn patschte und in einem Anfall von Geistesblitz sprach: „Ma ey, bin ich Panne. Das war ja gar nicht hier. Das war ja in der Cobra.“ Hier, im Getaway, war er nämlich viel länger nicht: Es war am 11. November 1996, als WIZO vor einem völlig ungebändigten Publikum auftraten. Kinder, wie die Zeit vergeht.

Er ließ sich seinen Irrtum nicht anmerken und erzählte erst einmal jedem davon. Zwischen frisch gezapftem Bier und wohlmundenden „Vegetarischen Bratwürstchen“, die – so die mit Kugelschreiber daneben gekritzelte wohl des Öfteren zu artikulierende Antwort – „ja, die sind auch vegan“ waren, bereitete er sich gewissenhaft auf die anstehenden Bands vor. Ja, er wusste, dass der letzte Satz keine grammatikalische Offenbarung war, aber das war ihm auch egal. Er ist ja schließlich nicht der Autor.

Nachdem er von „Church Of Cycology“ nur wenig mitbekam und überrascht war, dass bei „Love A“ das Publikum noch sehr spärlich und zurückhaltend auftrat, folgte mit „Ärger Now“ sein erster und letztendlich auch schlussendlicher Höhepunkt des Abends. Kopf dieses Trios, welches sich vor exakt einem Jahr gründete, ist Jenz Bumper von den von ihm in den 90ern sehr abgefeierten „Jet Bumpers“ und er freute sich ´n Arsch ab, dass der junge Mann neben seinen eh jüngeren Begleitern, nicht wirklich älter geworden ist. Ein großartiger Auftritt auf der „kleinen Bühne“.

Es folgten die Bands Vitamin X, Blank When Zero, Asta Kask und Generators, denen er größtenteils mit einem Grinsen auf den Lippen gegenüber stand. Nur einmal wurde er bitterböse, als sein nahezu volles Halbliterglas urplötzlich verschwunden war. „Schließet die Tore und haltet den Dieb!“ wollte er gerade auf die Bühne springend den Sicherheitsschergen zurufen, doch dann sah er die Splitter und Überschwemmung auf dem Boden und ärgerte sich über seine bodenlose Schusseligkeit. Die Wahrscheinlichkeit, dass er das Glas selber von dem kleinen Tisch neben der Bühne gefegt hatte, lag bei fast über 100%.

Zurück im Vorraum musterte er das Publikum. Das sah dann natürlich so aus, dass er sich vor jede*n Einzelne*n stellte und nach einem tiefen Blick in die Augen, die jeweilige Person vom Scheitel bis zur Sohle in Augenschein nahm. Als er damit fertig war, zog er Bilanz: Wo sind sie bloß alle, diese bunten Menschen, die in größeren Rudeln scheinbar nur noch zwischen Weihnachten und Silvester aus ihren Löchern raus und nach Oberhausen gekrochen kommen? Er freute sich darüber, dass zumindest eine optisch als Punkette zuzuordnende unter den Anwesenden war. Sah sich aber einmal mehr auch bestätigt, dass das wirklich bunte Treiben auf den Punkkonzerten dieser Zeit nicht wirklich mehr so bunt war, wie zur guten alten Zeit. Jaja. Die gute alte Zeit.

Wo unser Antiheld gerade so melancholisch ist, unterbreche ich als Autor mal unauffällig um Joachim und Uschi herzlichst zum 25jährigen Ox-Jubiläum zu gratulieren. Wenn er das schon während der Veranstaltung vergisst, muss ich wohl mal wieder in die Bresche springen. Und wehe jemand denkt jetzt: „Scheiße, so langsam hat der wirklich einen neben sich herlaufen.“

Mit „The Ruts DC“ stand nur noch eine Band auf dem Programm. Eine Band, für die viele extra angereist waren und auf die auch er sehr gespannt war. Doch dann besann er sich auf seine alten Tugenden und beschloss, sich pünktlich vor Beginn ihres Auftritts unauffällig zu verpissen. Einfach so, weil er es fast immer so macht und um sich am nächsten Morgen darüber zu ärgern. Es war der musikkulturelle Sadomasochist in ihm, der mit diesen Zügen nur sich selber quälte.

Bevor er mit seiner Freundin – die er mit dieser Unart auch schon angefixt hatte – hinaus in die weite Welt zog, bestellte er sich ein allerletzes Bier im stehen und sinnierte: Wieder ging ein Abend vorbei, an dem er auf seiner Suche nach der Goldenen Pommesgabel kein Stück weiter gekommen war. Doch als er den letzten Schluck seines Bieres zu sich nahm, da pickste es auf einmal an seinem schlabbrigen Zäpfchen. Er griff mit seinen langen knöchrigen Fingern in seinen wohl geformten Mund und traute seinen Augen nicht. Er hielt sie tatsächlich in der Hand: Die Goldene Pommesgabel.

Fortsetzung folgt.


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