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Kapitel XII: Oh my God!
Fights & Fires im XI Eleven, Essen, am 15. Februar 2014
Dieser Artikel ist Teil des fortlaufenden Romans „Auf der Suche nach der goldenen Pommesgabel“. Infos dazu gibt es hier.
Der Geist lies sich schon des längeren nicht mehr bei ihm blicken. Er genoss diese trügerische Ruhe und legte entgegen seiner sonstigen Gepflogenheiten eine nahezu komplette Woche die Beine hoch. Kein Livekonzert, kein gar, kein nix. Doch selbst ohne geistige Möchtegerntipps war dieser Samstag bereits im Vorfeld ein nicht zu ignorierender Konzerttag für ihn. Die Auswahl war gigantisch. Überall war was los und nach reiflicher Überlegung hatte er sich für einen seiner Lieblingsläden entschieden: Im Rattenloch zu Schwerte sollten die großartigen Schmeisig aus Kölle und die arg lustigen Kacknäpfe ihre ihm wohl bekannten Qualitäten unter Beweis stellen.
Also tat er nach seinem Entschluss erneut das, was er am besten konnte, aber am seltensten zelebrierte: Nichts. Zumindest für seine Verhältnisse nichts. Er legte sich auf die Couch und stellte seine Männlichkeit unter Beweis, indem er jämmerlich über seine Rückenschmerzen klagte. Dabei las er ein Buch. Natürlich sein eigenes. Sein zweites inzwischen, was nur die wenigsten wussten, ihm aber scheißegal war, weil er das erste inzwischen selber nicht mehr verstand.
Er blätterte mit einem routinierten und beeindruckend geräuschlosen Griff von Seite 85 auf Seite 86 und stieß dabei auf den Konzertbericht vom 31. März 2013. Ein Datum, bei dessen Nennung die Historiker dieser Welt in Ehrfurcht erstarrten. Damals spielten „Fights & Fires“, eine Band aus West Midlands Englands Worcester, die er zuvor nicht kannte, in der Essener Weststadthalle und er war überraschend überrascht. Die bliesen ihn glatt aus den mit Elastan verstärkten Socken und er wunderte sich, warum eine solche Kombo nicht in einem angesagteren Laden der Stadt spielte.
„Schatz“, sprach er zu seiner holden Freundin, die gerade das Notebook besetzte. „Sei doch so liebreizend und schaue mal, ob diese Band nicht zufällig im März irgendwo in England spielt, wenn wir gerade drüben sind.“ Und so suchmaschinte sie und antwortete lapidar: „Nö, aber heute Abend in irgend ´nem Laden in Essen.“
Ein Zeichen? Ihm war selten so bewusst wie in diesem Augenblick, dass die Suche nach der Goldenen Pommesgabel zu einer lebensbejahenden Pflichtaufgabe für ihn geworden ist. Denn die wüsste auch die Antwort auf diese Frage ohne mit der Wimper zu zucken. Denn Goldene Pommesgabeln haben keine Wimpern. Grüne und blaue schon. Aber nicht die Goldene. Das Problem der Abendgestaltung schien zugunsten des Rattenlochs schon längst geklärt und jetzt war alles wieder ein großes Rätsel.
Er wägte auf und wägte ab. „XI Eleven“ schimpfte sich die Lokalität, von der er zuvor noch nie etwas gehört hatte und er erinnerte sich an seine Frage aus dem dritten Absatz dieses Kapitels, letzter Satz. Doch nach allumfassender Recherche war seine Entscheidung ebenso klar wie unumstößlich. Er könnte an dieser Stelle Scheinargumente vorschieben wie „OK, Schmeisig und Kacknäpfe sind super, aber da hab ich ja sicher noch oft genug die Möglichkeit die abzufeiern, während die Engländer ja nun nicht gerade alle paar Monate vor der Haustür spielen.“ Tat er aber nicht, denn es gab stichhaltigere Argumente. Beim „XI Eleven“ handelte es sich um ein Jugendzentrum eines katholischen Pfarrheims oder umgekehrt. Also um eine Institution, in der man ebenfalls an Fabelwesen glaubte. Wenn irgendwer für seine Geistvisionen – die ja gar keine Visionen, sondern bittere Realität waren, aber das spielt ja keine Rolle – Verständnis haben sollte, dann doch wohl der Träger dieser Einrichtung. Und der würde ihm bestimmt sagen können, an welches Kreuz die Goldene Pommesgabel genagelt war. So sehr er sich auch schon aufs Rattenloch gefreut hatte, aber gegen diese Argumentation konnte niemand anstinken.
Auch seine Freundin war schnell überzeugt, denn von ihrem dekadenten Zweitwohnsitz war die Lokalität gerade eine gut viertelstündige Busfahrt entfernt. Dass seine Planungen darüber hinaus eine insgesamt gut neunzigminütige Wanderung vorsah, kam irgendwie nicht so rüber.
Ihre körperlichen und gesundheitlichen Gebrechen zollten ihren Tribut und sie waren froh, als der Bus sie endlich einholte. Die Büdchendichte war darüber hinaus bis zu diesem Wegespunkt erschreckend dünn, so dass sie erst auf der verbleibenden Busfahrt die Trinkhallen zwei bis neun zu der Statistik hinzuführen konnten. Nach dem Ausstieg erfolgte erneut eine 20minütige Berg- und Tal-Wanderung, ehe ihnen endlich die Tür aufgehalten wurde.
Für sie wurden auf der für den dreistelligen Bereich vorbereiteten Liste die Striche drei und vier gemacht. Nachdem sie durch einen Fingerzeig auf seine grauen Haare auch die zum Eintritt berechtigte Legitimationsfrage „seid Ihr denn schon 16?“ bravourös gemeistert hatten, bewegten sie sich mit Hilfe des Handlaufes in die unterste Etage des Gebäudes. Im Vorraum stand ein Kicker mit zwei bequemen Couchen und einem Sessel. Der angrenzende Konzertsaal war nahezu perfekt. Die Bühne hatte mit nur wenigen Zentimetern eine optimale Höhe, das Fassungsvermögen schätzte er auf knapp 200, an der kleinen, gemütlichen Theke gab es neben Bio-Radler aus der Dose (1,50 Euro) unter anderem die Halbliterflasche Stauder Pils und Stauder Radler für jeweils 1 Euro (dafür kannste nicht mal selber brauen) und an der Decke über der Bühne hing eine Wolldecke.
Sie bequemten sich auf eine Couch und kurze Zeit später stolperte ein junger Mann mit Krücken die Treppe neben ihnen hinab. Es dauerte ein wenig, bis er den Sänger der Band erkannte. Dieser hatte seinen Bart gegen eine Aircast Schiene eingetauscht, so dass nicht schwer zu erkennen war, dass ein Bänderriss ihn heute Abend an seinem sonst recht ausgeprägten Bewegungsdrang hindern werde. Er überlegte Minutenlang, was „Bart“ auf Englisch heißen würde, kam aber nicht drauf, so dass der geplante Witz einmal mehr seinen erbärmlichen bis nicht vorhandenen Englischkünsten zum Opfer fallen sollte:
„Hey, Mate! Oh my god! [Es war ja nicht so, als wäre er nicht anpassungsfähig.] What happened??! Where is your Bart?“ fragte er entsetzt mit einem Griff ans Kinn um seinem Gegenüber zu signalisieren, was er meinte. Dieser war sichtlich irritiert und flüsterte nur kurz „Beard?“, so dass er seine Sorge präzisierte: „Yes, of course. Fuck your leg, but what happened with your fucking beard? “Jetzt musste auch sein Gegenüber kurz schmunzeln und im weiteren Verlauf des Gesprächs erfuhr er, dass die Bänder des Sängers der Bühnenhöhe im Bonner Bla zum Opfer fielen. Dort spielten die Engländer tags zuvor auf und nun bewegte sich der verletzte Musikant mit seinen Hilfsmitteln leider nur sehr schwerfällig voran. Ihm war deutlich anzumerken, dass er bisher wenig Zeit zum üben hatte.
Als die Band die Bühne betrat und der Sänger selbige bestieg, hatten sich hauptsächlich jugendliche Besucher*innen im Raum eingefunden, der nun mit 20-30 Menschen nicht so leer aussah, wie er befürchtet hatte. Während es sich der Sänger an einem Barhocker lehnend mehr oder weniger bequem machte, tobte der Gitarrist durch die Reihen und fand dort auch in diesem Jahr Unterstützung, indem er einem jungen Mann sein Instrument um den Hals warf und selber nur noch die Grifffolge übernahm. Der Auftritt war trotz des Handicaps großartig und sie bereuten zu keiner Sekunde diesen Ausflug unternommen zu haben. Er orderte das nächste Pils beim sehr netten Personal und war erfreut, dass sich die Strapazen des Hinwegs gelohnt hatten.
Als die Livedarbietung nach einer zu Recht geforderten Zugabe ihr Ende nahm, ertönten aus den Boxen Punkklänge vom Band, die seinen Geschmack trafen. Am Merchandisestand versorgten sie sich mit den beiden Langspielplatten mit Klappcover und einem Poster, ehe sie sich freundlich von den netten Menschen vor Ort verabschiedeten und zur Bushaltestelle torkelten.
Auf dem Weg dorthin unterlief ihm ein kleines Missgeschick, worüber wir aber lieber den Mantel des Schweigens legen, sonst durfte ich unseren Antihelden sicher zum letzten Mal begleiten um sein Erlebtes in diesen Realroman zu packen. Ich könnt mich jedenfalls jetzt noch vor Lachen bepissen.
Ach ja, die Goldene Pommesgabel. Die geriet mal wieder völlig in Vergessenheit. Zwar meinte er beim Verlassen des Gebäudes kurz sowas in überdimensionaler Größe und aus Holz ausgemacht zu haben, aber da es nicht Gold schimmerte und da auch schon jemand rumhing, unterließ er es dem Objekt weiter auf den Grund zu gehen. Stattdessen bedankte er sich gedanklich bei den Verantwortlichen für dieses tolle Konzert sowie bei der Band, die trotz des Handicaps des Sängers zu diesem Gig angetreten war.
Auf weitere Fußwege verzichteten sie und stiegen stattdessen lieber zwei Mal um, denn wer wusste schon, was auf ihn noch für Gefahren lauern sollten. Eine knappe Stunde später fielen sie zu ungewohnt früher Stund ins gemachte Bett, in dem er dank Schlafstörungen mal wieder um 3 Uhr erwachte um vier Stunden später genervt und mit leichten Kopfschmerzen aufzustehen.
Fortsetzung folgt.
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