Kapitel 15: Der Hölzerne Zahnstocher (Knochenfabrik, Hagbard Celine, Sunflowers Of Death im Druckluft, Oberhausen)

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Kapitel XV: Der Hölzerne Zahnstocher

Knochenfabrik, Hagbard Celine, Sunflowers Of Death im Druckluft, Oberhausen, am 1. März 2014

Dieser Artikel ist Teil des fortlaufenden Romans „Auf der Suche nach der goldenen Pommesgabel“. Infos dazu gibt es hier.

Er lebte seit vielen Jahren vegan und hatte entsprechend schon so einige Stufen hinter sich gelassen. Von der Goldenen Pommesgabel erfuhr er auf Stufe 7 oder 8. Für ihn gab es keine Stufen bezüglich der Konsequenz veganer Lebensweise, da er davon überzeugt war, dass man diese nicht in unterschiedliche Grade einteilen konnte. Die einen achteten darauf, kein Bier aus Flaschen zu trinken, deren Etiketten mit kaseinhaltigen Leim (eine Proteinmischung, die aus Milch gewonnen wird) befestigt wurden, andere wiederum legten stattdessen ihr Augenmerk darauf, keine Lederkleidung aus nichtveganen Zeiten aufzutragen. Was ist nun besser, was ist schlechter? Er war dankbar für jede Information, doch auf solche Fechteleien konnte er getrost verzichten und deswegen nervten ihn auch die Zeigefinger, wenn es um das Thema ging. Auch wenn er davon überzeugt war, dass diese weitaus weniger verbreitet sind, als es viele Nicht-Veganer*innen gerne behaupten. Für ihn war es wichtig sich zu informieren und seine Überzeugungen in seine Lebensweise bestmöglichst zu integrieren.  Er war gerne bereit andere zu informieren, jedoch nicht zu belehren. Er fand diesen allgemeinen Fleischkonsum zwar scheiße, war aber trotzdem weit davon entfernt gegen irgendwen Antipathien zu entwickeln, weil dieser nicht auf tierliche Produkte verzichtete.

Die Stufen, mit denen er zu kämpfen hatte, waren andere. Es war der Umgang mit offensiven Aasesser*innen. Er hatte aus seinem Veganismus nie einen Hehl gemacht, hatte aber auch nie von sich aus eine Diskussion darüber begonnen. Anfangs brachte es ihn noch auf die Palme, wenn man ihn trotz dessen blöd anmachte, sich belustigte oder ihn vollquatschte, dass das alles Schwachsinn, nicht gesund und blablabla sei oder er ja sicher auch Ameisen tot trampeln würde und blubb. Er hasste diese Schutzoffensive diverser Aasesser*innen und verstand nicht, warum Menschen sich alleine durch die Tatsache, dass er auf tierliche Produkte verzichtete, angegriffen fühlten. Warum sie sich einbildeten, man würde sich moralisch über sie stellen und deswegen zur „Angriff ist die beste Verteidigung“-Taktik griffen. Diese These hatte er sich nicht ausgedacht, sie stammt aus Forschungsergebnissen und war für ihn auch einleuchtend. Anders konnte er sich diese Reaktionen nicht erklären.

Die „Wutstufe“ gegen solche Angriffe hatte er längst hinter sich gelassen. Es nervte ihn zwar noch, wenn man ihn beim Essen in einer „gemischten Runde“ ständig fragte, ob denn auch was für ihn dabei wäre und was er denn davon jetzt essen dürfe und schon wieder blablabla. Doch von Wut war schon lange nichts mehr zu spüren. In anderen Situationen pendelte er längst zwischen den Stufen „gelangweilt“ und „belustigt“, wobei er sich nicht sicher war, welche davon Stufe 7 und welche Stufe 8 war. Dieses „heute Abend brate ich mir ein leckeres Stück Steak vom Tier“ mit einem erwartungsvollen Grinsen in seine Richtung langweilte ihn eher. Doch die Tatsache, dass die Menschheit Tag für Tag mit Werbung für Mc Doof und Burger Kack vollgeschissen wird und das regungslos schluckt, dann aber bei der kleinsten Werbung für vegetarische Ernährung an die Decke springt und sich auf einmal bevormundet fühlt, fand er schon eher belustigend. „Jeder Burger nur 1 Euro!“ vs. „Versuchen Sie doch mal einen Tag in der Woche ohne Fleisch auszukommen.“ Da kann sich jede*r ausrechnen, bei welchem Slogan der bürgerliche Hass aufkeimt. Schon verrückt, diese Welt.

Pommes „durfte“ er essen. „Durfte“ – so ein Schwachsinn. Das implizierte ein selbst auferlegtes Konsumverbot – ein Nicht-Dürfen – wenn es um tierliche Produkte ging. Für ihn hatte das mit „Verbot“ nichts zu tun, sondern mit „Vermeidung“. Entgegen anders lautender Vermutungen aß er trotzdem deutlich weniger Pommes, als die und der gemeine Durchschnittsbürger*in. Auch wenn er öfter mal behauptete, er würde „Pommes holen gehen“, so erfüllte er damit doch nur die Erwartungshaltungen seines asozialen Umfeldes.

Er hatte sich anfangs keine Gedanken darüber gemacht, ob der Geist Veganer war, doch so langsam kam Klarheit in die Geschichte. Der Geist war vermutlich auch nur ein gewöhnlicher Fleischessergeist und der dachte natürlich, dass er ständig Pommes essen würde, weil er nichts anderes essen darf. Daher fiel die Auswahl also auf ihn. Und er wollte sich schon was auf die Berufung einbilden.

Trotzdem half ihm diese Erkenntnis weiter. Die Goldene Pommesgabel würde sich vermutlich dort befinden, wo sich viele Veganer*innen aufhalten. Logisch! Also ab in die Veganisierbar, wo Steffi und Ente heute ihre Eröffnung feierten.

Als sie die vegane Kneipe betraten, war diese rappelzappelvoll. Sie gesellten sich zu dem an der Theke rumlungernden Herrn Abartig und er freute sich sehr über die Bierauswahl: Stauder, Astra und Duckstein vom Fass. Leber, was willst Du mehr? Jetzt noch irgendwas mit Pommes bestellen und schon war die Suche nach der Goldenen Pommesgabel ein für allemal beendet. Wie leicht durchschaubar dieser Geist doch war.

Frohen Mutes griff er zur Speisekarte und entschloss sich für einen veganen Schimanski-Teller: Hausgemachte Currywurst mit Pommes, Mayo und Ketchup. Doch angesichts der Eröffnungsbedingten Überfüllung nahm die Theke aktuell keine Bestellungen mehr entgegen. Die Wartezeit auf sein Essen hätte ihn vermutlich vom weiteren Plan seiner Abendgestaltung abgehalten.

Also griffen sie zu einer List und bestellten zwei Stücke Kuchen. Als er seins samt Kuchengabel entgegennahm, da sprach er: „Holde Meid, ich habe mir des Nachts eine Maulsperre zugezogen, so dass diese Kuchengabel nicht in mein schmales Mündchen passt. Würdet Ihr mir bitte eine kleine, schmale, ruhig etwas gelblich glänzende Gabel reichen?“ Und dachte: „Hihihihihi.“ Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: „Häh?“

So aß er letztendlich seinen Kuchen mit einem heraufbeschworenen Zahnstocher und ärgerte sich darüber, dass es ständig missverstanden wurde. Doch er grämte sich nicht, denn veganer Kirschstreuselkuchen mit Astra vom Fass – er hatte schon schlimmere Momente in seinem Leben.

Als sie nahezu gesättigt die Kneipe verließen, waren sie rotzdem noch immer nicht hochmotiviert. Doch wat willste machen? Et Ete feierte heute in ihren Geburtstag rein, hatte sich selber dieses Konzert geschenkt und da war es eine Frage der nicht vorhandenen Ehre, ihr diese zu erweisen.

Nachdem sie in Bahnhofsnähe noch eine wohl mundende Käselose Pizza ohne Besteck in sich hinein geschoben hatten, trottelten sie die letzten Meter zum Oberhausener Druckluft. Dort befand sich bereits etliches an buntem Volk, welches man so leider nicht mehr allzu häufig bei Konzerten sieht, bei den persönlichen Vorbereitungen. Sie betraten den Veranstaltungsraum, bekamen von et Ete an der Kasse zwei Freisaufbändchen und schwupps, war seine Stimmung um 180 Grad gedreht. Auf zum Kühlschrank.

Er entschied sich – da heute einmal damit angefangen – für die Biersorte Astra, welche in dafür hergestellten Blechdosen zur Verfügung stand und dank vieler bekannter Menschen verging die Zeit bis zur ersten auftretenden Band wie im Sturzflug. Im Gegenzug zeigte er et Ete, in welcher Ecke er ihr Geburtstagsgeschenk versteckt hatte, und bat sie, falls er vor 24 Uhr „Pommes holen“ gehe, sich das Teil dann selber zu holen. Er war einer der ganz großen Romantiker dieser Zeit.

Die „Sunflowers Of Death“ mit Frontsau – Entschuldigung – Schoko am Mikrofon konnten ihn schon länger begeistern. Herr Schoko war ein wahrer Entertainer und alleine seine Ansagen quittierte er zumindest mit einem durchgängigen Schmunzeln, wenn er sich nicht gerade kreischend auf die Schenkel klopfte. Und auch heute hatte Schoko sich etwas ganz besonderes ausgedacht und sprach:

„Ich weiß nicht, ob Ihr das wisst, aber wir sind heute aus einem ganz besonderen Grund hier. Die Ilona hat Morgen Geburtstag, aber feiert schon heute. Darauf trinken wir einen.“ Dann kramte der smarte junge Mann eine Papiertüte hervor, die Randvoll mit kleinen Schnapsflaschen war, versorgte seine Musikanten und exte das Fläschchen leer.

Es folgte ein Lied. Kurz, knackig, und musikalisch wertvoll. Am Ende dieses Musikstücks ergriff Schoko erneut das Wort und sprach: „Den nächsten Song haben wir extra für Ilona geschrieben. Ich weiß nicht, ob Ihr das wisst, aber wir sind heute aus einem ganz besonderen Grund hier. Die Ilona hat Morgen Geburtstag, aber feiert schon heute. Darauf trinken wir einen.“ Dann kramte der smarte junge Mann eine Papiertüte hervor, die Randvoll mit kleinen Schnapsflaschen war, versorgte seine Musikanten und exte das Fläschchen leer.

Dieses Ritual erfolgte tatsächlich nach jedem Song und es wurde nicht langweilig. Im Laufe der Zeit erfolgten zwangsläufige Versprecher a la Loriots Erwin Linde- respektive Lottomann, und während die Herren auf der Bühne von Song zu Song sichtlich betrunkener wurden, amüsierte sich das Volk davor köstlich und wurde angesichts des reichhaltigen Vorrats zu dem einen oder anderen Kurzgetränk eingeladen. Als die „Sunflowers Of Death“ am Ende ihres Sets angekommen waren, hatte Schoko sichtlich Probleme sich auf den Beinen zu halten und die nur wenige Zentimeter hohe Bühne wieder zu verlassen. Eine wundervolle Darbietung.

In der Pause gesellte er sich zu einem Musikanten namens Schlaffke, Sänger der über die Grenzen des Drucklufts bekannten Teutschpunkkapelle Schließmuskel. Seit einigen Jahren sorgte Schlaffke als „Zwakkelmann“ für musikalische Aufruhr und er hatte seinen verwirrten Zustand eines Abends ausgenutzt und ihn mit einem Knebelvertrag auf Lebenszeit an sein Label gebunden. Dass nicht nur Schlaffke, sondern auch seine Freundin Anne, auch das Kleingedruckte des Vertrages verinnerlicht hatten, machte eine beeindruckende Konversation zwischen den beiden deutlich:

„Hier, trink mal!“ sprach Schlaffke zu Anne. Beide hielten eine Flasche Pilsbier in den Händen, doch Schlaffke nannte darüber hinaus eine Fritz Cola sein Eigen. Die Angesprochene sprach: „Wat is dat?“ und Schlaffke antwortete „Cola.“ Daraufhin nahm Anne einen kleinen Schluck aus der Flasche, drehte sich mit einem angeekelten Blick weg und spülte rasch mit einem kräftigen Schluck Bier hinterher.

Als zweite Band betrat „Hagbard Celine“ die Bühne und das Publikum bereitete sich weiterhin vorbildlich auf den Höhepunkt des Abends vor, indem es seine Kehle durchflutete und die Band mit artigem Mitgegegröle huldigte. Die Luft wurde dünner und verqualmter, das Bier nicht weniger und die Stimmung immer besser. Als die Knochenfabrik schließlich die Bühne betrat und begann, rieben sich fleischige Leiber aneinander und ein Wulst an bunten Menschen schob sich von Wand zu Wand. Mit mehreren Gehilfen versuchten die wenigen Anwesenden, die die 2 Promillemarke noch nicht überschritten hatten, die Boxen festzuhalten, doch diese wankten, als hätten sie überhaupt kein Interesse, das Konzert im stehen zu beenden. Es war schlichtweg herrlich. Jede und jeder im Publikum bewies eindrucksvolle Textsicherheit, die weit über die Textsicherheit von Sänger Claus – sofern man in seinem Fall überhaupt davon reden mag – hinaus ragte.

Auch seine Stimme hatte inzwischen ein wenig gelitten und das ständige Nachspülen bereitete ihn ein wenig Sorge hinsichtlich des Folgetages. Denn an diesem ruft mit den Mimmi´s und  Hotel Energieball ein weiterer Pflichtbesuch, so dass er das Bier trinken abrupt abbrach und panisch schreiend zum Hauptbahnhof rannte.

Fortsetzung folgt.


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