Kapitel 17: Die Partei (Sunflowers Of Death, El Fisch im Panic Room, Essen)

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Kapitel XVII: Die Partei

Sunflowers Of Death, El Fisch im Panic Room, Essen, am 7. März 2014

Dieser Artikel ist Teil des fortlaufenden Romans „Auf der Suche nach der goldenen Pommesgabel“. Infos dazu gibt es hier.

Er konnte sich bei seinem Abmarsch um 17.45 Uhr beruhigenderes vorstellen, als einen Karl Dall-Ohrwurm, der bei seiner Ankunft – 1,5 Liter später – noch immer anhielt und inzwischen anfing auf ausgesprochen unverschämte Weise dreckig zu grinsen. Doch er war fest entschlossen, diesen Einschüchterungsversuch zu ignorieren, denn er hatte einen Plan. Nachdem bereits zehn Wochen aussichtslose Suche nach der Goldenen Pommesgabel verstrichen waren, war er sich trotz der damit verbundenen Gefahren sicher: Er musste die Politik um Hilfe bitten.

Es wäre ein Leichtes gewesen, kurz zum Hörer zu greifen und der Kanzlerin Unterstützung zu befehlen. Doch er wusste natürlich, dass die tatsächlichen Strippenzieher dieser korrupten Welt ganz woanders saßen: An der Theke des Panic Rooms.

Dort trafen sie sich heute alle: Die Essener Spitzenklassenkandidaten der Partei „Die PARTEI“, die zum als Solidaritätskonzert betitelten Bereicherungstreffen geladen hatten. Auch wenn die Parteioberen durch die Nominierung scheinbar debiler Gestalten mit aller Macht versucht hatten, von ihrem tatsächlichen Einfluss abzulenken und sich in der Außenwahrnehmung gerne als Spaßpartei, wie es die FDP beispielsweise war, präsentierten, so wusste er es doch besser. Er kannte den Großteil der handelnden Personen und wusste um deren Cleverness, die sich zwischen den letzten, noch nicht weggesoffenen Hirnzellen, fest eingenistet hatte. Hier hatte man Einfluss. Hier wurden weltbewegende Entscheidungen getroffen. Ein Anruf und die ukrainische Krim wäre fest in ostdeutscher Hand. Allerdings waren die Protagonisten gerissen genug, um den Ball flach zu halten, damit niemand von ihren Möglichkeiten öffentlich Notiz nehmen konnte.

Als er um kurz nach 19 Uhr am panischen Raum ankam, tobte drin noch der Soundcheck und bis auf die Musikanten und Parteiunteren war noch niemand zugegen. Lediglich ein vor sich hin und her grinsender Pfandpirat lockerte das Straßenbild vor der Lokalität ein Stück auf. Während andere seiner Zunft längst auf den Crazy-Zug aufgesprungen waren und sich als billige Leerguttechniker-Kopien entblößten, war dieser gut gelaunte junge Mann seinen Konkurrenten um zwei Schritte voraus und entpuppte sich beim Überreichen seiner geleerten Wegbierflasche als pantomimischer Straßenkünstler. Er kannte solche Künstler*innen bisher nur aus den großen europäischen Metropolen, wo sie in goldenen oder silbernen Farben angemalt und verkleidet, starr auf einer Kiste standen und sich – sobald ihnen jemand einen Taler in ihr Gefäß warf –auf unterschiedliche Art für wenige Sekunden bewegten um auf diese Weise ihrem Dank Ausdruck zu verleihen. Ein solcher dieser großartigen Kunstschaffenden hatte es heute bis vor den Panic Room geschafft, wo er in Räuberzivil nahezu apathisch Stundenlang auf einem kleinen Mauervorsprung saß. Erst wenn man ihm eine Flasche Leergut reichte, stand er wie von einem imaginären Motor angetrieben kurz auf, machte einen Hofknicks, setzte sich wieder hin und verfiel erneut in eine Ganzkörperstarre. So lange bis ein weiterer Tourist ihn mit seinem Leergut erneut zur kurzen Darbietung seiner Kunst animierte.

Die Szenerie füllte sich nach und nach mit Menschen, die sich dank des schönen Wetters zu großen Teilen noch vor der Veranstaltungshalle an ihren Getränken labten. Unter anderem hatte sich dort Ritas Schwester eingefunden, die er seit Jahr und Tag mit ihrer Schwester Rita verwechselte. Er hatte dennoch längst eine Strategie entwickelt, um die beiden in akuten Momenten voneinander unterscheiden zu können. Da er Ritas Schwester eigentlich nur als Ritas Schwester kannte und mit Rita und ihrem Freund Till sogar schon mal gemeinsam in Irland verweilte, war es der menschlichen Etikette geschuldet, dass Rita ihn zur Begrüßung freundschaftlich umarmte, während Ritas Schwester es bei einem „Hallo“ beließ. Entsprechend reichte es aus, die jeweilige Person nur kurz anzuschauen und aus ihrer Reaktion die logischen Schlüsse zu ziehen: „Ah, Ritas Schwester!“ „Genau.“

Es gab – so verriet ihm der dabei stehende Bolero, Sänger der Band Iwan I.A.E. und einer der ganz großen Essener Spitzenkandidaten der Partei „Die PARTEI“ – noch einen zweiten Weg, um die beiden auseinanderhalten zu können. Denn während Ritas Schwester rauchte – was sie in diesem Moment auch tat – war ihre Schwester Rita dem Nikotin abgeneigt. Doch kaum hatte Ritas Schwester ihre Zigarette entsorgt, trat Ritas Freund Till aus der Kneipe hinaus, starrte Ritas Schwester ein paar Sekunden lang an und kommunizierte angesichts ihrer verhaltenen Reaktion seine Erkenntnis durch ein Glühbirnenhaftes „Ah!“. Es beruhigte ihn, dass selbst Till sich zum Auseinanderhalten der beiden Damen ganz offensichtlich eine ähnliche Strategie angeeignet hatte.

Im Inneren standen inzwischen die ersten Musikanten auf der Bühne. Die „Sunflowers Of Death“ hatte er zwar erst vor sieben Tagen gesehen, doch war es ihm eine Freude diese fantastische Liveband erneut begutachten zu dürfen. In sozialistischen Gewändern und propagandistischen Ansagen gehüllt, wusste die Band sein Wohlwollen erneut zu verdienen. Das über weite Strecken verhaltene und auch auf Grund der Wetterlichkeiten noch recht spärliche Publikum, quittierte die Darbietung mit verdientem Applaus. Auch er zollte der Band diesen, alleine schon dafür, dass Sänger Schoko so ziemlich jedes zuvor hart umkämpfte Bier spätestens nach dem ersten Schluck am Bühnenrand stehend umtrat.

Nach kurzer Pause betrat der zweite Höhepunkt des Abends den Schauplatz: El Fisch, Sänger der Band „Die Lokalmatadore“, trat alleine auf und haute den Zuhörer*innen einen Gassenhauer nach dem nächsten um die Ohre, so dass selbst er, eigentlich ein ruhigerer Vertreter seiner Zunft, bei dem einen oder anderen Song mitsummen musste.

Noch während der Fisch auf der Bühne erfolgreich schwamm, kam unserem Antihelden die altbewährte Schnapsidee. Eigentlich wollte er unbedingt noch die Band „Operation Semtex“ sehen, doch von jetzt auf gleich empfand er es als ausgesprochen witzig, die Szenerie zu verlassen um „Pommes zu holen“.  Bis dato hatte er sich um die Goldene Pommesgabel noch gar nicht bemüht, doch aus nicht nachvollziehbaren Gründen, rückte er von seinem Vorhaben binnen Sekunden ab. Zwar stand die letzte wirklich annehmbare Rückfahrverbindung zu seinem dekadenten Erstwohnsitz, welcher am öffentlichen Nahverkehr nach wie vor unzureichend angebunden war, bereits unmittelbar bevor. Doch er hätte – zumindest theoretisch – über Umwege und deutlich längere Fahrstrecken sein Ziel auch später noch erreichen können. In etwa zwei bis drei Tagen.

Also kroch er in die mit Straßenlaternen beleuchtete Dunkelheit empor und auf den letzten Wagen mit Direktverbindung in Richtung Kleinstadt Großdorf. Die Goldene Pommesgabel, da war er sich sicher, würde er auch an einem anderen Tag noch suchen und finden können. Er war so niedlich naiv.

Fortsetzung folgt.


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