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Kapitel XX: Der Eichhörnchen-Häuptling
Church Of Confidence, Contempt, The Tourettes at 12 Bar Club, London, am 24. März 2014
Dieser Artikel ist Teil des fortlaufenden Romans „Auf der Suche nach der goldenen Pommesgabel“. Infos dazu gibt es hier.
It was just a walking down the street. Sie glaubten ihren Augen nicht. In dem Fenster prangte auf großen Lettern: “Fish and chips. Including the golden chipsfork.“ Fucking shit! Also doch ausgerechnet in England. Wer hätte das gedacht.
Hibbelig wie Hulle traten die beiden siegessicher durch die alte bordeauxrote, hölzerne Tür. Die Farbe war bereits an mehreren Stellen abgeblättert und wartete darauf im Frühjahr erneuert zu werden. „Two portions of chips, please“, orderte er in seinem allerbesten Oxford-Englisch. In Sachen Fremdsprachen war er auch nach vier Tagen in London noch immer eine absolute Koryphäe. Ungeduldig warteten die beiden auf ihre labbrigen, mit Essig beträufelten Pommes. Und auf die Goldene Pommesgabel. Hell yeah!
„Here we go. That makes three pounds, please.“ Doch wo war die Goldene Pommesgabel? „Sorry, guys. The golden chipsfork is only for people who order fish and chips. Not only chips.“
Was sollten die beiden bloß tun? Sie lebten seit Jahren vegan und für sie kam es nicht in die Tüte, respektive ins Zeitungspapier, irgendetwas tierlicher Herkunft zu verspeisen. „Oh, fuck off! That´s not my problem, if you are fucking vegans. Go out and find your golden chipsfork in your own fucking country. May be Adolf had hidden one behind his mustache.” Eigentlich mochte er den englischen Humor, doch in diesem Moment kam er ihm ziemlich aufgesetzt vor.
Mit knirschenden Zähnen aßen sie ihre chips without fish, doch bevor er eine Träne der Enttäuschung verdrücken konnte, keimte in ihm neue Hoffnung auf, denn seine Freundin sprach: „Gräme Dich nicht, ich glaube ich weiß, wo die Goldene Pommesgabel ist.“ „Wirklich? Ich wäre des Glückes!“ „Ja, die ist bestimmt im St. Jame´s Park bei den Eichhörnchen.“ „Bist Du sicher? Das hast Du doch die letzten drei Tage auch schon behauptet und obwohl wir jeweils Stunden dort ausharrten und das gierig Getier ausgiebig fütterten, brachte uns keins von ihnen das Objekt meiner Begierde.“ „Doch, doch, ich bin mir sicher. Wir müssen einfach noch länger ausharren und die Eichhörnchen noch mehr füttern und noch mehr Fotos von diesen niedlichen Geschöpfen machen. Dann bringen die uns auch die Goldene Pommesgabel.“
Er war außer sich vor Freude. Endlich sollte er ans Ziel seiner Reise ankommen, denn die Erläuterungen seiner Freundin erschienen ihm schlüssig.
Fünf Stunden später – er hatte bereits selber eine Tüte Erdnüsse zwischen den Zähnen – war noch immer keine Goldene Pommesgabel in Sicht. „Bist Du sicher, dass die Eichhörnchen uns dir bringen?“ fragte er vor Kälte zitternd seine Freundin. „So langsam fröstelt es mir.“ „Hm,“ sprach sie. „Ich kriege auch langsam Hunger. Aber Du hast Glück. Der Eichhörnchen-Häuptling hat mir soeben geflüstert, dass er uns Morgen die Goldene Pommesgabel hier her bringt. Lass uns jetzt einfach Essen gehen und dann kommen wir morgen noch mal für ein paar Stunden hier her.“
Das beruhigte ihn ungemein und nach einem erneuten leckeren veganen Buffet im kleinen Restaurant ihrer Wahl, erreichten sie pünktlich den 12 Bar Club in London-Soho, denn vielleicht bringt der Eichhörnchen-Häuptling die Pommesgabel ja auch schon heute Abend hierher.
Als sie den Laden betraten, war die Freude in ihren Gesichtern abzulesen. So oft sie schon in England verweilten und so viele Konzerte sie hier schon gesehen hatten, war genau das hier der Laden, den sie sich in London immer erhofft hatten. Der „Punkrock-Charme“ war unverkennbar. Insgesamt gab es vier kleine Zimmer, worunter der Konzertraum noch ein paar weniger Gäste beherbergen konnte, als das Wageni, zumal die Bühne ein gutes Stück der Fläche einnahm. Der Eintritt betrug 3 Pfund und er hatte ihre Karten vorsorglich im Vorverkauf zuzüglich 30 Pence Gebühr gesichert. Sie bestellten sich ein Fosters´s und ein Bulmer´s Cider und harrten der Dinge, die da kommen sollten.
Und sie kamen. Mit „The Tourettes“ eröffnete eine sehr junge Band gegen halb neun den Abend. Der Sänger erinnerte – wie passend bei dem Namen – von optischer Gestalt und Gebaren sehr an den jungen Schlaffke Wolff. Und auch von Artikulationsart war der Jüngling nicht auf die Fresse gefallen. Hatten sie zunächst den Eindruck, dem einen oder anderen Musikanten sei es ein wenig peinlich, dass seine Eltern im Publikum verweilten, so vermittelte folgende Konversation nicht diesen Eindruck, die ich als Autor vorsichtshalber ins hohe Teutsch transferieren werde. Der Sänger sprach: „Der nächste Song handelt über Liebe und ich hoffe, Ihr gebt uns ein bisschen Liebe zurück.“ Worauf der Gitarrist antwortete: „Ja, aber besser erst nach der Show,“ und der Sänger konterte: „Besser nicht, meine Eltern sind hier.“
Auch musikalisch konnte der Bühnennachwuchs durchaus überzeugen, auch wenn der Großteil der Songs laut Band Coverstücke von Liedgut, von denen sie noch nie etwas gehört hatten, war. Lediglich ein Song der Pixies war ihnen bekannt. Doch das störte ihn nicht, denn er war positiv überrascht endlich mal eine gute Nachwuchsband auf der Insel gesehen zu haben.
Als er die nach Klo duftenden Örtlichkeiten kurz darauf zum Flüssigkeitsverlust aufsuchte, begab er sich in nicht zu vorhersehbare Gefahr, als sich plötzlich die Klotür neben ihm öffnete und drei junge Männer in Windeseile heraus galoppierten. Was sie hinterließen war ein umgeworfenes Glas, eine abgerissene Klobrille und vermutlich auch Reste irgendeines Pulvers. Er war hingegen froh so etwas nicht zu benötigen, denn zu dritt in einer stickenden Klozelle – da wusste er besseres und bestellte sich noch ein Bier.
Mit der 1984 gegründeten Anarcho-Punkband „Contempt“ betrat ein englisches Urgestein die Bühne und wusste die beiden zu überzeugen. Leider waren bei dieser Montag-Serie „Reggae Punk Mondays“ weniger Menschen zugegen, als erhofft. Mit Reggae hatten die Darbietungen nur wenig gemein, doch das sollte sich vermutlich ändern, wenn nach den Kapellen Segs Jennings von „Ruts DC“ den Plattenteller rotieren ließ. Dass sie das nicht mehr erleben sollten, lag auch an den Rückfahrtverbindungen, die von hier in ihre Richtung bereits vor der Geisterstunde eingestellt wurden.
Es folgten die Berliner Musikanten von „Church Of Confidence“, die eigentlich erst nach „The Duel“ aufspielen sollten, aber offenbar den Bühnenplatz mit diesen getauscht hatten, was unseren Antihelden sehr erfreute. Denn so kam er noch in den Genuss, diese mit eigenen Augen zu sehen und eigenen Ohren zu hören. Naja, was er mit seinen geschädigten Lauschern halt „hören“ nannte. Die Berliner bereiteten ihnen ebenfalls große Freude. Und auch die einmal mehr zahlreichen Menschen mit ihren unterschiedlichsten Fotoaufnahmegeräten kamen auf ihre Kosten. Dagegen war jeder Fototerror auf teutschem Konzertboden ein Dreck.
Als die Band die Bühne verließ, erfreuten die beiden sich noch am Schallplattenstand des Contempt-Sängers, von dem sie für 40 Pfund einen Arsch voll tollem Vinyl erstanden und überaus vergnügt die Lokalität verließen.
Sie hatten einen wundervollen Londoner Konzertabend erlebt und seine Stimmung war famos, als ihn plötzlich die bittere Erkenntnis überkam. Denn am Morgen darauf sollten sie London in Richtung Westen verlassen. Die bittere Konsequenz ihrer Reiseroute bedeutete, dass sie den Eichhörnchen-Häuptling gar nicht mehr zu Gesicht bekommen sollten. Vor allem für seine Freundin tat es ihm leid, da diese sich scheinbar in zähen Verhandlungen mit dem Nager-Chef solch große Mühe gegeben hatte. Doch noch blieben ihm knapp zwei Wochen, um die Goldene Pommesgabel in England zu finden.
Fortsetzung folgt.
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