11.05.24, 1. Spieltag Blindenfußball-Bundesliga, Roncalli-Platz Köln, 14:15 Uhr, 2:3 (1:2)
Eigentlich war diese Fahrt mit 2/3 unseres Fanclub geplant. Dann kam aber tatsächlich nochmal Corona um die Ecke und befiel alle von uns, die in den letzten zwei Wochen Raum und Zeit teilten. Wobei ich inzwischen geneigt bin, es eher Coronja zu nennen, da unsere gebeutelte Ronja einmal mehr betroffen war und sich als Herd zur Verfügung stellte.
Ich befand mich zu der kritischen Zeit (in dem Fall zum Glück) in einem anderen Raum-Zeit-Kontinuum und kann so die Reise gen Kölle immerhin noch alleine antreten. Da ich meinen Bierkonsum ja deutlich zurück geschraubt habe, kann ich leider nicht für euch einen mittrinken (wir sind ja diese "Bier gehört beim Fußball dazu"-Generation). Das tut mir sehr leid. Aber nicht wirklich. Ist vielleicht auch angesichts dessen, dass die Ausgefallenen eh nix trinken und dieser "gehört dazu"-Regel regelmäßig trotzen, auch halb so wild. Stattdessen drücke ich meine Solidarität darin aus, dass ich einfach für alle Nichtmitfahrenden Fahrkarten kaufe. So fühlt sich das auch nicht mehr so alleine an.
Also flott nochmal die Bundesliga- und Regionalligaspielpläne gecheckt. Das mache ich inzwischen vor Bahnfahrten an Wochenenden fast immer, um unangenehme Begegnungen möglichst zu vermeiden und meine Optionen gebenenfalls anzupassen. Insbesondere, wenn ich alleine unterwegs bin. Gerade hier in NRW/Ruhrgebiet ist ja meistens ne Menge auf den Gleisen los. Und so auch heute, aber jetzt nix zwingend, was meine Verbindungen betrifft. Erst in Köln selber ist mit FC gegen Union eine eher uncoole Konstellation vorhanden. Aber solange es nicht "im Zug" ist, bin ich fein damit.
Ja, denkste. Die Bahn macht Dinge, die die Bahn halt macht. Das heißt, dass ich die ersten beiden Verbindungen schon mal in die Tonne treten und über Essen fahren muss. Und auch über diese Strecke läuft es alles andere als Komplikationslos. Bis ich am Ziel bin, werde ich zu allem Überfluss auch doch begleitet von Dortmundern, Kölner:innen, Unioner:innen, Schalkern und bäh... tatsächlich treffe ich auch auf Rostocker. Dass ausgerechnet mir als St. Pauli-Fan aus NRW dieser Denkfehler unterläuft: Nicht alle Fans wohnen nun mal in der Stadt ihres Vereins. Aber ja, ich komme gut an und dass mensch mit St. Pauli-Plörren sich an Samstagen an Bahnhöfen den einen oder anderen Spruch fängt, da hab ich ja eh nur noch ein müdes Arschrunzeln für übrig.
Genug der Nebensächlichkeiten: 2021 und 2022 war der FCSP Deutscher Blindenfußballmeister, ehe wir 2023 vom Nachfolger Blista Marburg auf Platz 2 verdrängt wurden. Also gilt es in dieser Saison den Titel zurück zu erobern. Gespielt wird in der Bundesliga mit 8 Teams, die sich allesamt pro Spieltag an einem Spielort treffen. Insgesamt gibt es 5 Spieltage, die meistens über 2 Tage gehen (Sa./So.). Jedes Team hat dort ein oder teilweise auch zwei Spiele. Den gesamten Spielplan findet ihr hier.
Pünktlich bin ich bei meinem gewohnten Puffer natürlich immer noch dicke. Der Spielort Roncalliplatz befindet sich direkt am Kölner Dom, nur 5 Minuten Fußweg vom Hbf entfernt und bildet auch für Atheist:innen eine tolle Kulisse. Wäre ja auch komisch, wenn ich den deswegen nicht sehen würde. Hinter den Toren sind zwei kleine Sitztribünen aufgebaut. Hinter der einen Bande an der Seitenauslinie sind ein paar Stände von Fußballverbänden & Co. sowie etwas Platz für Zuschauer:innen und ein Rollstuhlfahrer:innen-Podest. Die andere Seite ist den Zeitnehmer:innen und spielenden Teams vorbehalten. Ich kann sowas immer schlecht schätzen, aber ganz grob würde ich sagen, dass so 200-300 Menschen anwesend sind.
Ich vermute, dass es auch an den schwer kalkulierbaren Brutto-Spielzeiten (ein Spiel dauert 2 x 15 Minuten effektive Spielzeit, was am Ende auch gut und gerne mal 90 und mehr Minuten brutto werden können) liegt, dass die Pausen zwischen den Spielen teilweise recht lang sind. So auch vor dem FCSP-Spiel, so dass ich tatsächlich leider auch keine anderen Begegnungen mitbekomme. Dafür das komplette, ca. einstündige Aufwärmprogramm unserer Spieler:innen, was mich tatsächlich schon ein Stück begeistert. Schon hier wird deutlich, mit was für einer Intensität und Professionalität hier rangegangen wird. Mir verlangt das jetzt schon großen Respekt und Begeisterung ab. Auch was hier teilweise für ein Tempo an den Tag gelegt wird, ist wirklich beeindruckend. Da hilft im Laufe des Spiels auch nicht immer der Kopfschutz, von denen einige auch mal nach einem Treffer durch die Gegend fliegen.
Außer mir sind noch ein bis zwei kleine Hände FCSP-Fans vor Ort. Neben mir steht K., die genauso wie die beiden auf der anderen Seite stehenden Hamburger:innen, FCSP-Blindernfußball-Allesfahrer:in ist. Sie ist direkt aus Berlin angereist, kommt dank der DB so gerade noch pünktlich an und erklärt mir auf Nachfrage im Laufe des Spiels ein paar detailliertere Regeldetails. Die wichtigsten Grundregeln könnt ihr hier nachlesen. Das wohl wichtigste ist der "Voy!"-Ruf, mit dem die Spieler:innen ihr Laufen in Richtung Ball ankündigen. Bleibt dieser aus, gibt es Freistoß. Mindestens einmal hat das auch zu einer kleinen Diskussion geführt, da die beiden Schiedsrichter trotz des fehlenden Rufes eines Schalker Spielers nach dem folgenden Zusammenprall auf Freistoß für Königsblau entschieden.
Zum Spiel: Schon in der ersten Minute bringtt Paul Ruge uns in Führung und alles scheint so, als würden wir unserer Favorit:innen-Rolle gerecht werden. Aber Schalke 2024 wäre nicht Schalke 2024, wenn sie uns nicht auch heute wieder ärgern würden. Und der FCSP im Frühjahr 2024 wäre nicht der FCSP im Frühjahr 2024, wenn es nicht wieder um einen umstrittenen Elfmeter gehen würde: Der Keeper, als einzig sehender Akteuer auf dem Feld, darf nur in einem sehr kleinen Torraum agieren. Das heißt, er darf auch Bälle, die sich außerhalb des Torraums befinden, nicht berühren. Ich weiß ja nicht, ob beim Blindenfußball ebenfalls gilt, dass die Linie (wie beim Strafraum) zum Torraum dazu gehört. Und zwar so, dass der Ball diese nur ein kleines Stück berühren muss (Draufsicht), damit er als innerhalb gilt. Wenn dem so ist, bin ich mir ziemlich sicher, dass es sich um Fehlentscheidung handelte, als Keeper Sven Gronau den dort herkullernden Ball an sich zog. Einer der beiden Schiedsrichter sah den Ball jedoch außerhalb des Torraums und entschied somit auf Sechsmeter-Strafstroß. Bei dem strammen und platzierten Schuss war Sven leider machtlos.
In der Folge entwickelte sich ein völlig offenes Spiel mit Chancen auf beiden Seiten. Sven musste genauso ein paar mal stark parieren, wie sein Gegenüber. Dennoch musste er noch vor dem Wechsel erneut hinter sich greifen. Mit einem 1:2 gingen wir in die 10 minütige Pause.
Nach dem Wechsel entwickelte sich ein reines Drama. Ein paar umstrittene Szenen und dann ein Foul im Strafraum - ich meine an Thoya Küster - ließ bei uns wieder Hoffnung aufkommen. Doch der Schalker Keeper parierte den 6-Meter-Strafstoß. Kurz danach erlaubten sich die Schalker ihr fünftes Teamfoul in der 2. Halbzeit, was wiederum einen 8-Meter-Strafstoß, bei dem der Keeper auch vor der Torlinie stehen darf, nach sich zog. Und auch dieses mal konnte er den Strafstoß entschärfen.
Alles sah nach einer Auftaktniederlage aus, bevor sich in der Schlussphase die Ereignisse weiter überschlugen. Als die starke Thoya Küster schließlich doch noch den Ausgleich für uns erzielte, waren wir uns einig, dass wir den Punkt jetzt auch gerne mitnehmen. Wäre doch zumindest gewährleistet, dass unser Team die Meisterschaft aus eigener Kraft holen könnte. Doch 15 Sekunden vor Schluss taucht ein Schalker plötzlich alleine vor Sven auf und verwandelt eiskalt: 2:3.
Wir nehmen nochmal eine Auszeit, doch leider missglückt die geplante Finte beim Wiederanstoß. Die überraschende Auftaktniederlage steht.
Rotzalledem: Wir haben - soweit ich das beurteilen kann - ein großartiges Spiel gesehen, das an Spannung nicht zu überbieten ist. Ich bin total angefixt und hoffe sehr, dass ich es schaffe in Dortmund wieder dabei zu sein. Was die Akteur:innen hier leisten, ist wirklich ganz groß und hat deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient. Also wenn ihr die Gelegenheit habt, fahrt zu den Spieltagen und unterstützt unser Team. Schließlich besteht unser Verein auch aus deutlich mehr, als den "1. Herren".
Die Rückfahrt war tatsächlich noch ätzender als die Hinfahrt. Unterwegs über eine Stunde Verspätung gesammelt, insgesamt 3 Stunden unterwegs auf einer Strecke, die - je nach Fahrverlauf - normalerweise nur 1:15h bis 1:45h dauert. Die Teutsche Bahn ist echt am Arsch.
Danke für diesen großartigen Nachmittag! Und beim nächsten Mal sind wir auch mit mehr Fanclub-Leuten am Start. So Corona aka Coronja will. Gute Nacht!
Das Ende vom Lied: Kennt ihr das? Ihr habt nen Job und der pisst euch total an, weil der z.B. so gar nix soziales hat? Oder ihr habt vielleicht gar keinen Job, würdet aber gerne, würdet damit aber auch gerne "Gutes tun"? Gerade im Inklusionskontext - und da befinden wir uns gerade mit diesem Bericht - möchte ich euch da folgende Option mit auf den Weg geben:
Es gibt Organisationen / gemeinnützige Gesellschaften wie beispielsweise "Inclusio" in Essen/NRW (www.inclusio.org). Diese erwähne ich jetzt nur als Beispiel, weil ich sie persönlich kennen lernen durfte und weiter empfehlen kann. Es gibt solche Organisationen natürlich bundesweit. Diese bieten z.B. Assistenzdienste für Kids mit Behinderung bzw. besonderem Hilfebedarf in Kitas oder Schulen an. Dank dieser Assistenzkräfte können die Kids dann mit den anderen, nicht in diesem Maße beeinträchtigten Kinder, gemeinsam eine Kita-Gruppe besuchen oder am Schulunterricht teilnehmen. Also genau das, wo Höcke keinen Bock drauf hat. Ein Grund mehr, der für solche Einrichtungen spricht. Diese Organisationen / gemeinnützigen Gesellschaften sind dankbar für jede Bewerbung. Im Regelfall sind dafür auch keine gesonderten Ausbildungen erforderlich, sprich auch sogenannte "fachfremde Kräfte" können hier als lohnabhängig Beschäftigte (aka Arbeitnehmer:innen) beruflich tätig sein. Also falls ihr "sucht" und euch sowas vorstellen könntet, sei euch so eine Beschäftigung aus dem Pool sozialer Möglichkeiten ans Herz gelegt.
Verweise:
Zusammenfassung auf youtube*
Die Blindenfußball-Bundesliga im Live-Stream
Die Homepage unserer Blindenfußballer:innen
Bundesliga Spieltag 2024
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