26.08.23, Scottish Premiership, 3. Spieltag, Celtic Park, 15:00 Uhr, 0:0
Nachdem unsere Campingreise gen Schottland feststand, wozu ein Besuch der von uns äußerst geschätzten Stadt Glasgow türlich dazugehört, wagte ich wie gewohnt einen Blick auf den Celtic FC-Spielplan: Heimspiel innerhalb der beiden Tage unseres Aufenthaltes. Nagut, schön, aber kein Grund zur Euphorie, denn Tickets zu erhaschen dürfte wie gewohnt ein Ding der Unmöglichkeit sein. Ein Blick auf die CFC-Homepage bestätigte mein Gefühl: "This match is sold out now!" Was auch sonst?!
Wochen später haben wir alle im Weg liegenden Steine, Hügel, Berge und sonstige Hindernisse zumindest kurzzeitig ein Stück zur Seite geschoben und können die Reise tatsächlich antreten. Hätte mir das vor 4 Wochen oder auch vor 3 Tagen jemand erzählt, hätte ich laut gelacht, wenn ich damals hätte lachen können. Aber jetzt geht es tatsächlich los. Schottland zum Dritten oder Vierten, weiß ich nicht mehr genau. Wie werden schließlich alle nicht jünger.
Nach ein paar Pints auf der Fähre von Rotterdam nach Hull wagte ich - ohne zu wissen, warum überhaupt - einen erneuten Blick auf den Celtic-Ticketshop: Zwei zusammenhängende Karten bitte. Computer sagt nein. Aber Computer sagt auch: 1 Karte ist noch drin. Häh? Wo kommt die denn auf einmal her? Ein mir bisher vorbehaltener Zweitmarkt oder ähnliches? Ich probierte es nochmal: 2 Karten, NICHT zusammenhängend. Computer sagt nein. What? Es gibt gerade exakt noch eine einzige Karte für das Spiel? Das klingt ja wie ein 6er im Lotto, wenn wir nicht gerade zwei Karten bräuchten. Also mehr so wie ein 6er im Lotto ohne den Schein abgegeben zu haben. Schade, one more Pint Moretti, please. Soviel englische Bierkultur muss sein.
Leicht angetrunken, noch ein letztes Mal vor der Abfahrt der Fähre die letzten zur Verfügung stehenden MB beansprucht: Bitte 2 zusammenhängende Karten. Computer sagt: "Na gut... Block 119, Row ZZ, 30 GBP each, is abba sichtbehindert." What??? Wo kommen die denn plötzlich her? Schnell ab in den Warenkorb damit, die Kreditkarte rausgekramt, zwei Versuche gestartet und Computer sagt: "Sorry, mit der Karte kommst du hier aber nicht rein!" OK, noch ein Versuch. Und wieder nix. Die Sekunden der Restreservierungszeit wurden deutlich weniger. Noch 42 Sekunden. Aber hey, wir haben ja tatsächlich noch eine zweite Kreditkarte dabei, weil wir ja zwei Personen sind und siehe da: Aus dem E-Mail-Eingang erschallt ein "plingpling" und unsere beiden "print at home tickets" erscheinen in einem wunderschönen grün und schwarz auf weißem Hintergrund. Ich fass es nicht. Wie geil ist das denn?!
Da diese Einleitung schon jetzt mehr Internetkapazitäten gefressen hat, als eigentlich eingeplant war, verschone ich euch jetzt mit der Geschichte über die ausgiebige Suche nach einer Ausdruckmöglichkeit. Es hat am Ende geklappt, die Anzahl der Versuche ist nicht entscheidend. Vielleicht schreib ich ja noch ein Buch darüber.
Matchday! Mit dem Zug geht´s nach Glasgow Queens Road. 3 Haltestellen, 15-20 Minuten für gerade mal 2 GBP pro Kopf und Strecke. Ja, Volker W., richtig gelesen. Geht nicht, gibt´s nicht.
Wir wollen gerade die Touriinfo verlassen, die wir nur betreten haben, weil uns coole Umhängetaschen anlachten, da grätscht uns ein junger Bediensteter um und meint, er hätte für uns einen super Tipp, für einen coolen linken Bücherladen. Da "sorry, my Englisch fucking bad is", entpuppte sich der netten junge Mensch auch noch als ausgesprochen gut teutschredend, freute sich offensichtlich wie Hulle darüber, das mal anwenden zu können und empfahl uns auf Rückfrage noch zahlreiche vegane Verköstigungsmöglichkeiten. Unter anderem die vegane Bäckerei Dorky French (39 Parnie Street), der wir noch einen schmackhaften Besuch abstatteten. Da das hier gerade nur so vor alternativen Touri-Tipps trieft, sei an der Stelle zum essen gehen direkt das "Mono" empfohlen, wo auch Konzerte stattfinden. Im Flying Duck, unserer bis dato favorisierten Kellerkneipe mit veganem Junkfood, hat leider die Küche dicht gemacht. Und das großartige Café "Picnic" gibt es leider seit kurzem auch nicht mehr.
So, weiter gelatscht und nicht einmal die Ersten vor Ort gewesen, aber fast. Der erste Fußballtouristengang geht natürlich in den Fanshop und wir sind auch hier positiv überrascht über die niedrigen Preise: Schals von 8 bis 12 GBP ( x ca.1,15 = Euro) zwingen mich einen optisch durchaus respektablen Umhang für die deutlich kälteren Tage als wie (!) heute in modischem schwarz-grün einzusacken. Neben dem traditionellen grün-weiß findet man noch rosa, pink und Regenbogenfarben auf den Konkurrenzprodukten, die ja gar keine Konkurrenz sind, fällt mir gerade ein, weil geht ja alles auf ein Konto. Rosa und pink sah man tatsächlich hier und da, der Scarf mit Regenbogensteifen ist hingegen offenbar nicht so der Verkaufsschlager und schlägt in der Statistik der von uns wahrgenommenen Fanutensilien mit null zu Buche.
Wir suchen derweil noch eine Möglichkeit einen Mittagsumtrunk zu nehmen und müssen eine ganze Weile suchen. Die "Sports Bar" befindet sich nämlich bereits im ansonsten noch geschlossenen Stadion und ist über die Ränge "vorne links" (also wenn man aus dem Fanshop rauskommt und aufs Stadion zugeht, nach links gehen und dann nochmal rechts um die Ecke). Ist tatsächlich nur daran zu erkennen, dass es die einzigen Tore sind, die bereits geöffnet sind und dass drei Ordern davor rumlungern. Rein darf aber nur, wer bejaht, auch zum Spiel zu gehen - sprich ohne das Beweisstück in Form der Eintrittskarte vorweisen zu müssen. Dort gibt es dann bis 30 Minuten vor Anstoß auch schmackhaftes Lager zu Kneipenpreisen, letzter Einlass ist 1 Stunde vor Anstoß. Danach ist Schicht im Schacht mit Alk. Find ich irgendwie gar nicht mal so scheiße.
Zu Essen gibt es für den veganen Gaumen im gesamten Stadion Pommes und vegan Sausage Rolls. Letzteres geht gar nicht, da Knochenhart und so gar nicht lecker. Die überraschend dicken Pommes bewerten wir hingegen unterschiedlich. In einem Block, direkt neben der Sports Bar, gibt es auch einen rein veganen Stand mit drei Gerichten zur Auswahl. Als wir in der Sports Bar sind, hat der Verköstigungsmensch leider noch nicht fertig gekocht und von unserem Block aus kommen wir später leider nicht mehr hin.
95 Minuten vor Anstoß fährt die Mannschaft vors Stadion vor, dafür werden nochmal ein paar Hamburger Gitter aufgebaut und während nicht gerade viele Spieler den zahlreichen Kids kurz zuwinken, entfernen wir uns von diesem Familienhappening und steuern unsere drei schmalen Eingänge mit Zoo-/Knasttypischen massiven Drehkreuzeingängen an (also so ganze, von oben bis unten und nicht diese dreistangigen in Kniehöhe). Gefilzt wird überhaupt nicht, nur Rucksäcke werden kontrolliert und mit einem Tykek-Armband als gecheckt markiert. Um die Zeit will neben uns + 3 weiteren offenbar auch noch niemand rein, zumindest nicht durch unseren Eingang.
Im Stadion kann man sich relativ weit im Fressständerund bewegen, während die Musik im Inneren unerträglich ist. Poahr, was sind wir da besseres gewohnt. Auf unserer Erkundungstour sind wir überrascht über die überwiegend sehr jungen Ultras, die sich unten treffen. Ich wusste tatsächlich nicht, dass Celtic überhaupt welche hat. In den Gängen vor dem Ultra-Block entsprechend schön anzuschauende Wandmalereien mit antifaschistischer Aussage. Weniger schön, sondern eher schwer zu ertragen, ist später das Dauergeschwenke einer großen Palästina-Fahne im Ultra-Block. Ansonsten sorgen diese später im Unterrang hinter einer Eckfahne für gute Stimmung. Ich würde schätzen, dass der Bereich, in dem die sich aktiv Bewegenden und Artikulierenden Personen stehen, ca. 1/3 unserer Südkurvensteher ausmacht, was in einem knapp 60.000 People-Stadion fast ein wenig untergehen würde, wenn es denn leiser gewesen wäre. War es aber nun mal nicht.
Die ca. 100 Gästefans befinden sich direkt unter uns. Ich habe die tatsächlich bis 3 Minuten vor Schluss gar nicht wahrgenommen, da erst da die ersten vor Begeisterung aufsprangen, nachdem der St. Johnstone-Keeper den gefühlt drölfzichsten schweren Ball pariert hat. Danach gab es allerdings urplötzlich kein Halten mehr bei den Away-Fans.
Apropos Keeper: Ich habe wohl noch nie einen - ansonsten wirklich guten - Schiri gesehen, der sich so von einem Keeper hat verarschen lassen. Ich weiß nicht, ob die Regeln in Schottland andere sind, würde mich aber stark wundern. Und ich verstehe auch überhaupt nicht, warum nicht ein einziges Mal ein Celtic-Spieler den Schiri gefragt hat, warum es eigentlich nicht mal so langsam Freistoß gebe, wo der Keeper doch bei jedem gehaltenen Ball weit über 30 Sekunden gebraucht hat, um diesen abzuschlagen. Die Pfiffe im Rund völlig zurecht und immer wieder gab es auch Gesten des Refs in Richtung Keeper, inklusive einer Ansage an den Spielführer der Gäste vor Beginn der 2.Halbzeit (die dieser dann im Schiri-Auftrag an seinen Goalie überbrachte), dass er mal bissi flotter machen solle. Wir sprechen hier nicht (nur) von Bodenabstößen (auch hier warteten wir vergebens auf Gelb), sondern von Bällen, die er im laufenden Spiel fest in den Händen hielt, aber weit über ne halbe Minute keine Anzeichen machte, den Knicker wieder rauszurücken. Höhepunkt war dann, als er nach einigen Sekunden mit Ball in der Hand bemerkte, dass ihm das Bein wehtut, er sich hinsetzte und in Richtung Schiri gestikulierte, dass er gerne eine Spielunterbrechung hätte. Einen gehustet hätte ich dem. Schmeiß den scheiß Knicker ins Seitenaus, dann kommt auch jemand zur Scheinbehandlung. Sonst: Freistoß, wird eh Zeit. Aber nö, Pfiff, Behandlung und Hochwurf "für" den Keeper. Ich fass es nicht.
Ansonsten habe ich wohl auch noch nie eine Mannschaft gesehen, die so spielbestimmend war. Unfassbar viele Torchancen, daraus resultierend leider auch zahlreiche, teils unfassbare Paraden des ungeliebten Gegenübers (wobei auch der Celtic Keeper 2 x richtig stark bei plötzlichen Kontern reagieren musste). Ein für meine Wahrnehmung sehr schnelles Spiel mit großem Laufpensum auf beiden Seiten und stark geführten Zweikämpfen, vor allem von den Celtic-Bhoys, denen man eigentlich keinen Mangel an Kampfbereitschaft vorwerfen konnte. Beachtlich, wie oft und in welcher Art und Weise diese sich verlorene Bälle in direkten Zweikämpfen zurück eroberten. Will sagen: Keine erzwungenen Fehlpässe in Folge erfolgreichen Gegenpressings, sondern wirklich: Ballverlust und BEVOR der Gegenspieler überhaupt den Knicker weiterspielen konnte, zurück erobert. Das war in der Fülle durchaus beeindruckend.
Nur wollte diese verdammte Kugel einfach nicht in die Kiste. Große Teile des Publikums wurden zunehmend ungeduldig (manche bereits nach 20 Minuten) und quittierten - meiner Meinung nach völlig zu unrecht - die Torlosigkeit mit Pfiffen (zumal Celtic die ersten beiden Saisonspiele gewonnen hatte). Es ging wirklich ständig in hohem Tempo nach vorne und sobald dieses hohe Tempo von hinten heraus mal nicht so extrem hoch getragen wurde, ging ein Raunen der Unzufriedenheiten durch die Ränge. Insbesondere der linke Innenverteidiger wurde das eine oder andere Mal, mir völlig unverständlich, gefühlt aus 50.000 Kehlen angeschrien, weil er den Ball länger als 3 Sekunden laufend am Fuß hielt um die beste Anspielmöglichkeit auszuloten. Eieiei, würde hier ein Karol Mets, der ja gerne auch mal mit Ball einfach so stehen bleibt, um sich einen Überblick zu verschaffen, mitspielen... ich glaube das Stadion würde beben und auseinanderbrechen.
Als nach 99 Minuten alles vorbei war, gab es aus unserer Ecke eher Applaus für die gute Leistung, auch wenn es nur zu einem 0:0 gegen das nach 2 Spieltagen bisher punktelose Schlusslicht reichte. Ein großer Teil des Publikums hingegen - sofern nicht schon vorher gegangen, denn auch hier gab es überraschend viele, die trotz aller Dramatik frühzeitig von Dannen zogen - reagierte eher wütend pfeifend und wenn ich von weitem die Gesten der Ultras in Richtung Spieler richtig deutete, waren diese so richtig angepisst und pöbelten erbost in Richtung Akteure.
Alles etwas irritierend für mich und ehrlich gesagt auch nicht das, was ich mir so insgesamt erhofft hatte. Ansonsten fiel noch auf, dass - obwohl offiziell ausverkauft - doch relativ viele Plätze frei blieben. Draußen erspäten wir zwar 1-2 Personen, die Karten zum Verkauf hochhielten (ich gehe auf Grund der klaren Kante gegen Schwarzmarkthändler mal davon aus, dass es sich hier um Karten zum regulären Preis handelte) und das auch recht lange (also wenn ihr eh in Glasgow seid und keine Karten bekommen habt, latscht ruhig mal auf gut Glück hin, aber früh genug, sprich min. 2 Stunden vor Spielbeginn), aber insgesamt war das schon etwas überraschend.
Publikumstechnisch kam mir das meiste auch eher austauschbar vor, mal abgesehen von den Wandmalereien unterhalb des Ultra-Blocks. Vielleicht waren meine Erwartungen auch einfach - die St. Pauli-Messlatte im Hinterkopf - zu hoch. Was ich erwartet habe, kann ich allerdings auch nicht so wirklich beantworten. Gesamtstimmungsmäßig auf jeden Fall irgendwas anderes und weniger negativ. Und überhaupt.
Gefühlt waren viele Kids und Familien zugegen, ansonsten ganz viel grün-weiß und vielleicht waren wir auch einfach in der falschen Ecke und/oder zu früh drin. Ja, es war cool, endlich mal hier gewesen zu sein und zum Ende des Spiels wurde es auch nochmal so richtig laut (aber eher so Verzweiflungs-ab-nach-vorne-Geschrei). Aber ob ich jetzt bei jedem Glasgowbesuch hin muss... ich glaube nicht zwingend.
Ach ja, zwei mal hab ich mich unnötig erschreckt: Zum einen, als ich die Reihenbezeichnung schräg unter uns sah: Denn während wir in Reihe ZZ saßen, gab es ein paar Stufen tiefer auch die Reihe "SS". Und als uns ein Kind mit ner Mütze mit einer großen "88" entgegenkam. Klar, 1888 - Geburtsjahr des Clubs. Und natürlich ist das keine Kritik, denn dass das in UK nicht diese Bedeutung hat, ist ja auch klar. Erschreckt habe ich mich im ersten Moment trotzdem, rechnet mensch ja so als Antifaschist in einem antifaschistischen Umfeld nicht wirklich mit.
So, genug der Worte. Endnote für alles mit Auge zudrücken und mit generellem Freundschaftsbonus so ca. befriedigend minus. Schön, das mal erlebt zu haben, aber. Gute Nacht!