26.04.24, 31. Spieltag, Footlights Sport Bar Edinburgh, 18:30 Uhr, 1:0 (0:0)
"Auswärts zu Hause": Nein, damit ist selbstverständlich nicht gemeint, dass die Plastikklofetischisten von der Ostküste das zu einem Heimspiel machen. Absurder Gedanke! Viel mehr sind wir nicht am Millerntor und schauen das Spiel stattdessen in der Footlights Bar in Edinburgh, wo auch der dortige FCSP-Fanclub beheimatet ist.
Grund dafür sind sonst bald verfallende Flüge, die ursprünglich mal für das Manchster Punk Festival (MPF) gedacht waren. Sabbis Flug ist dabei bereits vom Vorjahr, wo sie krankheitsedingt passen musste. Dieser wurde dann auf dieses Jahr verlegt und ich habe meinen neu dazu gebucht. Aufgrund zahlreicher Positionierungen zum Thema Israel/Palästina viel zu vieler Punkbands aus UK, die eben auch dort auftreten werden und die unsere Toleranzschwelle deutlich übersteigen (Boykottaufrufe gegen Israel, kein Wort zu dem HAMAS-Gemetzel und eine komplett, kompromisslose einseitige Betrachtungsweise, die teils das Existenzrecht Israels in Frage stellt), war es für uns unmöglich, dort teilzunehmen. Irgendwo ist ein Punkt erreicht, wo auch jede Diskussion keinen Sinn mehr ergibt (teilweise hatte ich es sogar online in persönlichen Nachrichten versucht). Also alles nochmal umgebucht und jetzt geht´s mit dem Stinkeflieger nach Edinburgh, weil da schön ist, vor allem abseits der Tourimeile. Uncool, dass das nur zu diesem Termin ging und fliegen ist nicht nur aus Umweltschutzgründen so gar nicht meins. Da bleibt nur das beste daraus zu machen und das Spiel wenigstens in einem coolen Umfeld zu schauen. Hoffen wir zumindest, denn die Abmeldungen einiger FCSP-Fanclubs außerhalb Teutschlands, die eine ähniche Haltung wie o.g. Bands an den Tag legen und auch einige Positionierungen aus eher linken UK-Fußballfanszehen (z.B. Clapton FC), lassen natürlich Befürchtungen aufkommen.
Immerhin werde ich von einem FCSP-Fan, der mit Edinburghern befreundet ist, vorab ein Stück beruhigt, da diese nicht so ticken sollen. Wir sind gespannt und hoffen auf das beste, was da heißt: Entspannter Abend mit coolen Leuten und Rostock abschießen. Denn: Der DFB-Poookaaaaal, der ist uns scheißegaaaaal!
Doch bis wir da sind, sind noch ein paar geringfügige Hürden zu nehmen. Damit denen erst gar keine Chance gegeben wird, starten wir so, dass wir trotz Staus tatsächlich 4,5 Stunden vor Anstoß am Millerntor sind. Ach nee, verdammt. 4,5 Stunden vor Abflug am Flughafen. So muss es richtig heißen. Wir kommen trotzdem schon rein und werden gefilzt, wie bei den derbesten Auswärtsspielen nicht, obwohl es ein Heimspiel ist. Sabbi muss sogar ihre Schuhe ausziehen, die Hose hochkrempeln und ihr Hosensaum wird rundherum inspiziert. Fehlte nur noch das berühmt berüchtigte Zelt. Wie gut, dass wir keine Bengalos mitgenommen haben. Danach erstmal aufs Klo, um 10 Minuten später festzustellen, dass auf einmal die Umhängetasche mit Handy weg ist. Schnell den Umlauf zurück gesprintet und mehr Glück als sonstwas gehabt: Die WC-Reinigungskraft war unmittelbar danach in der Kabine und hat das Teil gesavet. Dicke Umarmung! Stressfaktor unendlich. Aber weil das noch nicht reicht, stellen wir kurz danach fest, dass wir auch unser Parkticket verloren haben. Und das finden wir dann auch tatsächlich nicht wieder. Kotz! Wir regeln das nach dem Spiel. Äh, Rückflug. Sofern sich das nachts gegen 0 Uhr regeln lässt.
Darauf erstmal ein Trotzbier. Trotz bedeutet, dass wir jetzt am Düsseldorfer Airport trotz des Atems des dort beheimateten Verfolgers im Nacken einfach ein Altbier trinken. Weil wir es können. Das ändert nix, soweit geht der Aberglaube nicht. Danach schon mal zu unserem Gate A54. Wir haben zwar noch immer fast 3 Stunden bis zum Abflug, aber die ganzen Menschen machen mich hier kirre. Und da unten ist es dann auch tatsächlich deutlich ruhiger.
2:30 später. Wir sind etwas verdutzt, dass noch gar nicht unsere Ausweise so richtig inspiziert wurden. Ist ja schließlich ein raus-aus-der-EU-Flug. Dann der Aufruf, dass jetzt die Gold-Platin-Passagiere nach Kopenhagen an Board gehen können. Nur warum stehen die, 20 Minuten vor Abflug, an UNSEREM Gate? Die Abflugzeit stimmt ja. Ich guck nochmal auf die Tafel und scheiße: Wir stehen am falschen Block. Äh... Gate. A79 steht da plötzlich. Ich muss vorher in der Zeile verrutscht sein oder sie haben es geändert. Rucksäcke geschnappt, Megasprint, Treppe runter, Gang entlang, Treppe wieder rauf. Verzweifelte Suche nach dem richtigen Weg. Dann über und unter Absperrungen durch, das mögen die am Flughafen noch lieber, als im Stadion. Dann die Passkontrolle, Megaschlange. Ich krieche wieder durch die Absperrungen, frage, ob wir vor dürfen. Dürfen wir. Noch ein Sprint und unmittelbar vor Gate-Schließung betreten wir das Stadion. Mensch ey... Flugzeug! Wir sind völlig durch und fragen vorsichtshalber nochmal die Person in unserer Sitzreihe, ob der Flieger wirklich nach St. Pauli geht. "Äh, was, nein, der geht nach Edinburgh." Mein ich ja. Danke!
Poahr ey, gut, dass wir so früh da waren...
Da das Spiel aka der Flug gleich direkt losgeht, verzichten wir darauf, unser Fanclub-Banner an die Tragfläche zu hängen. Ist sicher eh schon alles voll. Eine andere Person hat es offenbar nicht mehr pünktlich durchs Gate geschafft und ihr Gepäck wird wieder ausgeladen. Dann geht´s aber auch schon los. Ab jetzt bitte nur noch Entspannung.
Das äh... (ja, noch ein "äh") gelingt nicht so ganz, aber es sind im Vergleich mit allem davor Kleinigkeiten und deswegen verschone ich euch damit. Nur noch ein Reisetipp für die Veganer:innen unter euch, die Pubs mit geilstem Junk Food lieben: "Rabbit Food at Meadows Tap" heißt das Objekt eurer Begierde; 27 Causewayside, EH9 1GF die Adresse. Unsere Stammkneipe hier sozusagen, rein vegane Küche, preislich sogar verhältnismäßig ok und nur 3 Minuten Fußweg von unserer Unterkunft entfernt. Wenn man da drin ist, vorher seinen Parkschein verloren hat, sein Handy beinahe verdaddelt und den Flug fast verpasst, und dann sein Essen, Bier und Cider bekommt, dann wird alles, alles gut.
So, Matchday!
Die Aufkleberkultur auf "der Insel" ist - das wissen wir ja schon lange - leider nach wie vor katastrophal. So bunt die Pubs auch sind, so sehr sie auf Subkultur oder Fußball ausgerichtet sind: Die Klofliesen sind blitzeblank. Ab und an sieht mensch mal ein paar Sticker in freier Wildbahn (Straßenschildermasten etc.), aber auch das ist äußerst selten und der Anteil der aus Teutschland kommenden Sticker dürfte so bei 90% liegen.
Die Zeit überbrücken wir zunächst, indem wir den 251 Meter hohen Hausberg "Arthur's Seat" besteigen. OK, wir besteigen ihn halt, Einheimische kommen uns mit Plastiktüten, Shorts und Flip Flops entgegen (in einer ersten Version stand hier tatsächlich irrtümlich "Plastiktüren", was natürlich deutlich witziger ist, aber - zugegeben - auch nicht so ganz die Realität abbildet). Sind ja auch immerhin 3 Grad Celsius. Aber was gut, dass wir immer so scheiße früh wach sind. Was uns beim Abstieg für unfassbare Menschenmassen entgegengekommen sind. Teils 50 Personen starke Reisegruppen und in einer Lautstärke... eieiei, Natur genieße ich zumindest gerne anders. Dann noch ne runde durchs Viertel (die Innenstadt-Touri-Meile mal gesehen zu haben ist schön, aber), happi happi und dann - themenbedingt vorbei an einem Palästina-Protest-Camp - ab zur Foodlights Bar. Mir sann jespannt. Hüstel.
Als wir 45 Minuten vor Anstoß das Stadion... meine Güte.. das Pub betreten, sind wir natürlich ausnahmsweise mal die ersten im FCSP-Block. Das ist da, wo die große Leinwand hängt und Ian, Betreiber oder Angesteller vom Pub, hatte uns Plätze mit bester Sicht reserviert. Auch wenn hier alles mit Fernsehern zugekleistert ist (das einzige, was ich an britischen Pubs nicht so mag), ist das hier ne echt schöne Location und die Atmosphäre ist sehr angenehm. Nach und nach trudeln am Ende ca. 6-8 Menschen vom Edinburgher Fanclub ein, stellen sich teils direkt bei uns vor und alle sind furchtbar nett. Sämtliche Befürchtungen hinsichtlich Israel/Palästina-Konfliktpotentials waren sowas von unbegründet. Hinter uns finden sich noch zwei weibliche gelesene Personen aus St. Pauli ein, die in unmittelbarer Stadionnähe geboren sind und dieses Wochenende ebenfalls reisebedingt auf das Millerntor verzichten müssen.
Als wir uns endlich alle mit Klopapier eingedeckt haben, geht´s endlich los. Etwas nervig ist, dass zwar aus dem Fernseher hinter uns der teutsche Stadionkommentar zu hören ist, aber durch die Musik aus den Pub-Boxen zu 90% übertönt wird. Nur wenn mal 2 Sekunden Pause zwischen den Songs ist, bekommen wir wirklich was mit.
Beeindruckend: Die stoische Ruhe der Edinburgher. Während ich mir mal wieder die Haare raufe, öfter mal stehe, mich aufrege und zittere, bleiben die Jungs vollkommen relaxed. Einer gesellt sich sogar in der Endphase des Spiels zu uns, lässt das Spiel Spiel sein und legt sein Hauptaugenmerk auf Kommunikation mit uns. Auch ein sehr, sehr netter Typ und inhaltlich - soweit Sabbi mir das übersetzt hat - auch sehr interessant. Allersings auch genauso imponierend, für sowas die Ruhe zu haben, kurz vor Schluss beim Stand von 1:0. Erst mit Schlusspfiff konnten wir uns auch optisch auf die Kommunikation einlassen, weil wir natürlich weiterhin durchgehend mitfiebernd zur Leinwand gestarrt haben. Auch die beiden St. Paulianer:innen hinter uns sind merklich angespannter und als endlich der Schlusspfiff ertönt, hört man die Steine, die aus ca. 140cm-Entfernung von unseren Körpern auf dem Boden aufschlagen, vermutlich bis nach Glasgow.
Unmittelbar nach dem Spiel gesellt sich noch J. zu uns. J. kommt aus Rostock und ich wollte ihn schon fast beinahe, aber auch nicht wirklich, ein ganz kleines Stück bemitleiden, bevor er sagt, dass er tatsächlich irgendwann die Farben gewechselt habe und längst FCSP-Fan sei. Er habe es tatsächlich nicht mehr ausgehalten, dass die rechten Provokationen und Tendenzen innerhalb der Rostocker Fanszene vom Verein so klein geredet werden. Inzwischen wohnt er seit ein paar Jahren in Edinburgh und hat sich irgendwann dem dortigen FCSP-Fanclub angeschlossen. Cool, zum einen, dass es solche Leute gibt (meine FCSP-Fan-Vita ist ja tatsächlich eine ähnliche, wenn das auch alles über 30 Jahre zurück liegt und gerade dann, kann man auch diese irgendwann einsetzende Regination beurteilen, weil das "trotzdem dabei bleiben und dagegen halten" sich schließlich endgültig als aussichtslos entpuppt), zum anderen, dass ich mich mit meinem quasi nicht vorhandenen Englisch hier auch noch nett unterhalten kann.
Als ich meine ganz persönliche Biergrenze dann auch um 1-2 überschritten habe und dem näxten Morgen mit etwas (wie sich am Ende zum Glück herausstellt, unbegründeter) Sorge entgegen sehe, verabschieden wir uns von unseren neuen Bekannten herzlich. Es war mega schön, euch kennen gelernt zu haben und wir kommen gerne wieder, falls wir noch einmal zeitlich (Matchday) so ungünstig in den Urlaub Richtung Edinburgh "müssen".
Allen "wir sind so gut wie durch"- und "in St. Ellingen steigen wir auf"-Parolen zum Trotze: Ich bin gedanklich noch längst nicht so weit. Wenn Fortuna das Ding Samstag Abend in Gelsenkirchen schaukelt und wir das Derby tatsächlich nicht für uns entscheiden können, wird das alles eine megaknappe Kiste. Auch gegen Rostock hat sich mal wieder gezeigt, wie anfällig wir derzeit gerade in der 1.Halbzeit sind. Hätte Nikola das eine Dinge nicht wieder so sensationell um den Pfosten gelenkt und/oder beim 1 gegen 1 so grandios per Fußabwehr geklärt, wer weiß, wie das am Ende ausgegangen wäre. Und dass nicht jede in der Halbzeit justierte Stellschraube am Ende wirklich an der richtigen Stelle einrastet, wissen wir ja mindestens seit Schalke. Das sind schon zwei Dinge, auf die ich mich gedanklich nicht verlassen kann.
Also weiterzittern, hoffen und immer weiter vor and so on, ihr wisst schon. Gute Nacht!