09.08.24, Friendly, Millerntor, 18:30 Uhr, 3:0 (0:0)
Das letzte Vorbereitungsspiel steht an und ich traue mich die Fahrt mit der teutschen Bahn anzutreten. Von meinem Wohnkaff muss ich dafür zunächst zum Dortmunder Hbf und plane dafür direkt 2 Ausfälle oder enorme Verspätungen ein. Sprich ich habe 3 Optionen: Zwei S-Bahnen und einen RE. Im schnellsten Fall bin ich 1 Stunde zu früh in Dortmund. Falls die ersten beiden Züge ausfallen und der dritte pünktlich ist, dann halt erst 15 Minuten vor der dortigen ICE-Abfahrt. Sollte doch eigentlich klappen.
Doch meine Paranoia fühlt sich am Bahnsteig mal wieder bestätigt: Widersprüchliche Infos am Gleis und in der App. Dazu fallen 3 von 4 S-Bahnen, die hier nur im 30-Minuten-Takt fahren, aus. Doch ausgerechnet meine, mit der ich 1 Stunde Wartezeit in Dortmund habe, fährt mit nur geringer Verspätung. Ich verpasse sogar den ICE, der eine Stunde vor meinem angepeilten geht, um gerade mal 20 Sekunden. Der angepeilte kommt jedoch tatsächlich pünktlich und die Fahrt verläuft sensationell entspannt. Ein Hoch auf Volker Wissing! Aber nicht wirklich.
Vor der Spiel
Ist nach dem Spiel. Ach nee, moment. Ach egal. Auf dem Südkurvenvorplatz gibt es neben Rabauken-Bespaßung eine weit über 100 Meter lange Schlange, an dessen Kopf Mensch die Meisterschale empor strecken und sich ablichten lassen kann. Ich beobachte die Szenerie nur kurz, bin aber dank eines sich in Rage schreienden und singenden Menschen in der "Photobox" (mitnichten diese kleinen Geldeinwurf-Knipskisten, sondern schon ein professiolles Ding mit entsprechender Beleuchtung und Ausrüstung) bestens unterhalten.
Eintrittskarten und illegaler Kartenverkauf vor Ort
Karten gab es bis zu (ich glaube) 8 Stück pro Person im Ticketshop auch ohne Mitgliedschaft. Und bis auf die wenigen, bewusst leer gelassenen Ecken, dürften die ca. 26.000 Tixx auch rausgegangen sein. Dazu gab es noch ein paar zurückgehaltene Tageskarten, um dem illegalen Verkauf entgegen zu wirken. Als mich 2 Stunden vor Spielbeginn direkt an der Straße zum Südkurvenvorplatz einer der professionellen illegal Handelnden nach alter Masche nach einer Karte fragt, um diese dann gewinnbringend weiter zu verkaufen, weht mir ein Grinsen durchs Gesicht. Doch so ganz leer gehen die XXX leider auch dieses Mal nicht aus, da rotzallem Besucher:innen sich bei den "Zwischenhändlern" (sic!) bedienen und diese es auch schaffen, sich selber am Ticketschalter Nachschub zu holen.
Dass das mit den Tageskarten für Meisterschaftsspiele eh keine Option ist, liegt eh auf der Hand und ist sicher auch nicht beabsichtigt, da es an der überhöhten Nachfrage nichts ändert. Viel mehr würde das dem illegalen Weiterverkauf vor Ort in die Hände spielen, da sich vermutlich noch mehr Leute mit Hoffnung auf so eine Restkarte ans Millerntor begeben würden. Das einzige was Sinn machen würde, wäre ein gezieltes Aufsuchen der illegalen Händler, wozu man ja nur ein Schild "suche Karte" für benötigt. In wie weit es dann bei einem "Fang" rechtliche Optionen gäbe, liegt auf der anderen. Ohne staatliche "Ordnungsmacht" wäre so ein Vorgehen vermutlich nicht mal machbar und da glaube ich zum einen nicht, dass da eine Bereitschaft zu bestünde und zum anderen bin ich froh für jede staatliche Ordnungsmacht weniger im Stadionumfeld und überhaupt. Es bleibt ein ärgerlicher Scheiß.
Gäst:innen
Aus Bergamo sind weniger Leute da, als ich es nach Blicken in den Online-Kartenshop für die Gäst:innen erahnt hatte. Lediglich N7 ist besetzt und ein Teil vom Nord-Steher Block H. Trotzdem schön, dass es ein paar Leute aus Bergamo geschaft haben. Zumindest auf die Entfernung sieht es nicht so aus, als wären auch befreundete Frankfurter:innen zugegen.
Support
Offenbar freut mensch sich auch auf der Süd (und anderswo) auf die Bundesliga und USP & Co. nutzen die Gelegenheit zum warmsupporten. Und das absolut beeindruckend. Nicht gerade eine Selbstverständlich für ein Friendly und unsere Neuen auf dem Rasen und der Bank dürften einen ersten Eindruck von dem bekommen haben, was sie hier erwartet. Sehr schön das.
Nicht sehr schön das:
Ich habe mir lange darüber Gedanken gemacht, in wie weit ich jetzt überhaupt aushole. Ich versuche es kurz zu machen und mache danach wohl das, was ich nie vorhatte: Meinen persönlichen Senf zu dem Thema abzugeben.
Unterhalb von G2 (da wo ich heute auch saß) wehte im Stehplatzbereich bereits vor dem Spiel eine Person (aus einer Gruppe von ca. 10 Personen) mit einer Palästinafahne, was zur Folge hatte, dass aus meiner Ecke vemehemt dazu aufgefordert wurde, diese wegzupacken. Die Reaktion darauf waren abfällige Gesten und später auch Gepöbel in unsere Richtung. Irgendwann ergriff eine Person im Stehplatzbereich auf das nicht enden wollende Gewedel die Initiative, in dessen Folge dann auch nicht mehr gewedelt wurde. Was mich an der Stelle insgesamt erstaunte war eine gewisse Gleichgültigkeit unter den meisten Besucher:innen. Zwar kamen später vereinzelt Leute dazu und teilten uns ihr Unverständnis für das Gewedel mit und damit ein Stück Solidarität für die Unterlassungs-Forderungen. Doch ein breiter Unterbindungswille, den man dadurch hätte zum Ausdruck bringen können, sich an den verbalen Aufforderungen zum Unterlassen zu beteiligen, hielt sich in Grenzen. Oder ich habe es hinter mir schlichtweg nicht mitbekommen.
Und jetzt meine zähneknirschende Meinung dazu. Einleitend: Ich bin kein Nahostexperte und das ist sicher nicht die beste Voraussetzung, um mich zu dem Thema umfangreich zu äußern. Ich bin auch kein Freund davon, zu allem eine Meinung haben zu müssen. An dieser Stelle erachte ich eine Positionierung dennoch für unabdingbar, da ich Enkel einer Generation bin, die für den Tod von Millionen von Juden*Jüdinnen verantwortlich ist und ich mich in der Pflicht sehe, für das Existenzrecht von Israel einzustehen. Aber nicht nur deswegen stehe ich gegen jeden Antisemitismus.
Dass in Gaza eine humanitäre Katastrophe vonstatten geht, steht außer Frage. Auch ich bin für humanitäre Hilfe und für schnellstmöglichen Waffenstillstand. Die zahlreichen zivilen Opfer sind eine Katastrophe und ich habe überhaupt kein Problem damit, sich auch mit diesen zu solidarisieren. Die Frage an der Stelle ist dann nur, wie ich diese Solidarität konkret einbette. Dass es die Hamas ist, die mit ihrem Massaker am 7. Oktober 2023 all das zu verantworten hat, sollte dabei niemals außer acht gelassen werden. Und diese ist eben der große Player in Gaza und Teil von Palästina. Eine Kritik an Hamas wird gefühlt in 99,x% aller Fälle bei der Pro-Palästinensischen Bewegung jedoch komplett unerwähnt gelassen. Ein "Free Palestine from Hamas" halte ich im Kontext eines "freien Palästina" (wie auch immer das am Ende aussehen mag) für einen unabdingbaren Teil einer Positionierung, wenn mensch ein eigenständiges Palästina anstrebt.
Wieso sehe ich, wo die Forderung nach einer Zweistaatenlösung doch (angeblich?) von vielen gewünscht wird, nie die Israel- und Palästina-Flaggen in einer Hand? Warum gibt es keine Symbolik der "Palästina-Bewegung" für ein "freies Palästina ohne Hamas"? Es gibt nur diese eine Palästina-Fahne (dabei ist es heute nicht mehr so schwer innerhalb einer Bewegung neue Symbolik zu schaffen) und die Erfahrung hat gezeigt, dass die Verwendung dieser häufig mit antisemitischen Äußerungen und Boykottaufrufen einher geht. Hamas will Israel vernichten, punkt. Mache ich mir die Symbolik der Palästina-Flagge zu eigen ohne auch diesen Punkt in meine Betrachtung und Symbolik einzubeziehen, muss ich mir den Vorwurf gefallen lassen, ähnlich zu denken und es mir schlichtweg bei diesem komplexen Thema zu einfach zu machen.
Und auch heute zeigte sich auf Grund der Reaktionen, als die besagte Gruppe den Kritikern des Gewedels Antifaschismus absprach (sinngemäß: als Antifaschist:in müsse man sich pro Palästina positionieren) und ob mensch "etwa pro Israel" wäre, dass meine These so weit nicht hergeholt ist.
Hinzu kommt natürlich, dass es aus meiner Sicht völlig zurecht einen Konsens am Millerntor gibt, dass hier Nationalflaggen nix verloren haben. "No Border, no Nation!" steht hier - trotz aller Utopie was die Auflösung staatlicher Konstrukte angeht - ganz oben und das geht eben auf Grund der utopischen Komponente auch mit einem klaren Existenzrechtbekenntnis für Israel.
Es gab wohl auch noch zwei Palästina-Banner am Zaun der GG, davon eine mit arabischer Schrift, die wir von oben aber nicht gesehen haben. Und jetzt habe ich schon viel, viel, viel mehr geschrieben als ich wollte und bin trotzdem noch lange nicht am Ende meiner Gedanken. Es ist alles noch viel komplexer und ich bin trotzdem viel zu wenig im Thema drin. Ich glaube aber dennoch, dass meine Gedanken zu dem Thema durchaus differenziert sind und genau das vermisse ich bei diesem komplexen Thema häufig, vor allem auf Seiten der "pro Palästina-Bewegung". Daher jetzt endlich...
zum Spiel
3:0 gegen Bergamo, das weckt Euphorie. Aber machen wir uns nix vor: Wir schwammen teils in Halbzeit 1 und hätte Nikola uns nicht ein ums andere mal mit großartigen Paraden im Spiel gehalten, wäre das hier ganz anders ausgegangen. Und dass Atalanta auch ganz anders zu Werke gehen kann, haben sie im Europa League-Endpspiel gegen Leverkusen gezeigt.
Trotzdem steht auf der anderen Seite eine Leistung, die Mut macht, ein immer klarer werdendes Bild von dem, was Alex Blessin mit unserem Team vorschwebt und es wird immer besser umgesetzt. Ob das heute 3:0 oder 0:3 ausgegangen ist: Der Klassenerhalt ist das Ziel.
Nach dem Spiel
Ein Hauch von Meisterschaftssieg: Ehrenrunde und kurz noch vor die Süd. Kurz danach rottete sich unsere im Stadion verteilte Gruppe auch wieder zusammen und es ging noch auf 1-2 Bier zu diversen Stellen im Viertel, um noch ein paar befreundete und gutbekannte Leute in die Arme zu schließen.
So nervig der Fahnenscheiß auch war, so sehr hat sich die Fahrt dennoch gelohnt und die Vorfreude hat noch ein Stück mehr Anschub bekommen.
Gute Nacht!