Samstag, 26.10.24, 15:30 Uhr (!!!)
8. Spieltag, 1. Bundesliga (M)
Millerntor (aka "schön, nicht mehr in Dortmund zu sein")
Wir schreiben den 26. Oktober. Heute spielt der FC St. Pauli gegen den VfL Wolfsburg. Und heute ist Intersex Awareness Day – der Tag an dem weltweit auf die Menschenrechtssituation von inter* Menschen aufmerksam gemacht und ihre Sichtbarkeit gefeiert wird.
Inter* Menschen haben angeborene körperliche Geschlechtsmerkmale, die von der Medizin nicht als typisch männlich oder weiblich eingeordnet werden. Dies kann zum Beispiel die Chromosomen, die Gesichtsorgane und/oder die Hormonproduktion betreffen. Es gibt zahlreiche Formen von Intergeschlechtlichkeit. Diese bedarf bis auf wenige Ausnahmen keiner Behandlung. Trotzdem werden inter* Menschen systematisch pathologisiert und medizinisch behandelt.
Ich denke, ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass so ein Tag von dem überwiegenden Großteil des FCSP-Umfeldes für gut, richtig und wichtig erachtet wird. Und auch wir als Fanclub möchten an dieser Stelle noch einmal unsere Haltung betonen und das Bewusstsein für die Herausforderungen schärfen, mit denen intergeschlechtliche Menschen konfrontiert sind. Wir möchten uns gemeinsam für eine inklusive Gesellschaft einsetzen, in der alle Menschen nicht nur unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, sondern eben auch unabhängig von ihrer Körperlichkeit respektiert und akzeptiert werden. Mehr Infos findet ihr HIER.
Am gleichen Tag kommt der Fußballspieler Kevin Behrens mit dem VfL Wolfsburg ans Millerntor. Vor wenigen Tagen erst kam heraus, dass Kevin B. bei einer Autogrammstunde beim Vorlegen eines VfL-Sondertrikots mit Regenbogenfarben die Aussage "So eine schwule Scheiße unterschreibe ich nicht." tätigte. So weit, so ekelhaft.
Die Folge der Geschichte ist bekannt. Es gab ein sogenanntes "klärendes Gespräch", in dessen Folge Kevin B. wie folgt zitiert wird:
„Meine spontanen Äußerungen waren absolut nicht in Ordnung. Dafür möchte ich mich entschuldigen. Das Thema wurde intern klar besprochen, und ich bitte um Verständnis, dass ich mich dazu nicht weiter äußern möchte.“
Natürlich ist das keine Distanzierung vom Inhalt seiner Äußerung, sondern viel mehr eine Entschuldigung dafür, dass er diese öffentlich geäußert und somit auch seinem Verein geschadet hat. Und wenn wir mal ehrlich sind, wäre alles andere ja auch komplett unglaubwürdig, denn:
Niemand haut so einen Satz raus, wenn er nicht wirklich schwulenfeindlich ist. Punkt!
Für den VfL Wolfsburg ist das kein Grund für eine Suspendierung. Viel mehr äußerte sich VfL-Trainer Hasenhüttel nach dem Spiel auf der Pressekonferenz am Millerntor wie folgt:
"Ich habe kein Problem damit, so einen Spieler zu bringen. (...) Wir haben die Situation intern aufgearbeitet, er hat sich dafür entschuldigt und damit war das Thema für mich auch erledigt. (...) Es hätte mich gefreut, wenn er das Tor gemacht hätte zum Schluss."
OK, der Trainer des VfL Wolfsburg hat kein Problem damit, einen schwulenfeindlichen Spieler aufzustellen und einzuwechseln und hätte sich gefreut, wenn ausgerechnet dieser das Tor gemacht hätte (nach seiner Einwechslung kurz vor Schluss hatte er dazu tatsächlich die Chance). Starker Tobak.
Nun wissen wir ja seit spätestens 2010, dass auch die Fußballoberhaus-Gerichtsbarkeit Schwulenfeindlichkeit nur für ca. halb so schlimm erachtet, wie Fremdenfeindlichkeit oder Rassismus. Und ursprünglich hatte ich vor, explizit für die "fehlenden 50%" eine fremdenfeindliche/rassistische Aussage zu konstruieren und darauf Hasenhüttel's Reaktion noch einmal zu zitieren. Aber ich spare mir diese Reproduktion in vollendete Worte zu fassen, rege aber jede*n Leser*in hier gerne dazu an, das selber mal durch den Kopf laufen zu lassen. Alternativ dazu könnt ihr es auch mit Weidenfeller und dem DFB halten und Schwulenfeindlichkeit halt für nicht so schlimm erachten. Wenn ihr eine sportliche Heimat dafür sucht: Aufnahmeanträge nimmt direkt die VfL Wolfsburg-Geschäftsstelle entgegen.
Oder viel kürzer:
Wäre Kevin B. ein Spieler des FCSP, dann würde dieser keinen Fuß mehr aufs Trainingsgelände setzen und das ist auch gut so!
Die Reaktionen im Stadion waren natürlich entsprechend. Schon bei der Verlesung der Aufstellung war bei Kevin B. die Pause zwischen Vor- und Nachnamen auffällig lang und wurde durch ein gellendes Pfeifkonzert gefüllt. Wie auch in weiteren Momenten, in denen Kevin B. in irgendeiner Form in Erscheinung trat. Tapentenbahnen wie "Kevin, halt Dein Kartoffelmaul!", "Mehr Liebe, weniger Kevin B." etc. sowie zahlreiche Regenbogen- und Inter* Inclusive Pride-Flaggen waren nicht nur zu erwarten, sondern konnten die ganze Abscheu unsererseits gar nicht ausreichend abbilden.
Und was machen die VfL-Fans in der Zeit? Sie werfen unter anderem einen Böller direkt vor den Block in den Innenraum, wo unmittelbar daneben eine Person steht, die sich hoffentlich "nur" derbe erschreckt hat. Und sie schießen mit Leuchtspurmunition um sich und treffen damit fast den an der Mittellinie auf den Anpfiff wartenden Danel Sinani.
Wir wollen das natürlich nicht explizit in unseren Protestkontext stellen, denn immerhin haben sich Wolfsburger Ultras im Spiel gegen Werder Bremen mit „Egal ob Daniela oder Kevin, Behrens halt‘s Maul“ bereits positioniert (Daniela Behrens ist niedersächsische Innenministerin und hatte in Bezug auf das Niedersachsenderby zwischen Braunschweig und Hannover unter anderem ein Ausschluss der Gästefans gefordert). Ob das angesichts der Schwere wirklich ausreicht und dieses "Abarbeiten" der beiden Themen in einem Abwasch wirklich angebracht ist, darf jede*r für sich beantworten (natürlich wissen wir auch nicht, ob darüber hinaus die aktive Fanszene aus Wolfsburg noch anderweitig tätig wurde).
Dass Schwulenfeindlichkeit nicht so schlimm ist, sieht offenbar auch VfL-Sportdirektor Sebastian Schindzielorz so, der nach dem Spiel vom Kicker zitiert wird:
"Wir haben klar gesagt, dass es ein klares Fehlverhalten war. Er hat sich entschuldigt und glaubhaft versichert, dass es ihm leidtut, wir haben es sanktioniert. Er musste dies heute nach seinem Fehler über sich ergehen lassen, ich finde, das sollte dann jetzt auch mal gut sein."
Verdammte Axt, nochmal zum mitschreiben: Das Problem ist nicht (nur) die Aussage ("das Verhalten") des Spielers, welches hier auch noch so passenderweise als "Fehler" tituliert wird. Das Problem ist die Person Kevin B. als solche, seine schwulenfeindliche Haltung, die auch Schindzielorz offenbar nicht abstreitet und sie ebenfalls überhaupt nicht thematisiert. Es geht ausschließlich um "das Verhalten" bei der Autogrammstunde. Und jetzt lehne ich mich doch für die o.g. "fehlenden 50%" noch ein Stück heraus, damit es auch diese kapieren: Genau wie bei einem "Ausl.... ra..!" nicht alleine der Spruch das Problem ist, sondern die Gesinnung der Person. Und nein, Sebastian S., es ist nicht "jetzt auch mal gut". Und es wird auch niemals gut sein, wenn Menschen mit solch menschenverachtenden Einstellungen unseren Rasen betreten. Und selbstverständlich gilt das nicht nur für unseren Rasen, sondern für überall!
Die Süd tapezierte dazu wie folgt:
"K. Behrens findet Schwule scheisse. Echte Konsequenzen? Fehlanzeige! Fight Homophobia!"
Da gehe ich natürlich voll mit, auch wenn ich "Homophobie" nach wie vor für den falschen Begriff halte, denn von Phobie aka Angststörung, kann hier sicher keine Rede sein. Aber auch hier wird es auf den Punkt gebracht: "KEVIN FINDET SCHWULE SCHEISSE!" Genau das! Da ändert eine Entschuldigung auch nichts dran, in der es ja nur darum gehen kann und auch nur darum geht, die vorhandene Gesinnung - als Spieler des VfL Wolfsburg - öffentlich zum Ausdruck gebracht zu haben. Diese Entschuldigung ändert am Ende des Tages NICHTS und der VfL Wolfsburg hat letztendlich kein Problem damit, Spieler auflaufen zu lassen, die schwulenfeindlich sind. Hauptsache, sie sagen es nicht laut und wenn doch, dann reicht ihnen ne Entschuldigung und "dann ist auch mal gut".
Eure heuchlerische Regenbogenspielführerbinde, eure Trikot-Sonderediton und all eure Symbolik. Eure Betonung, dass ihr ja die ersten überhaupt wart, die mit dieser Binde aufgelaufen sind und all eure heuchlerischen Bekundungen sind einen Scheiß wert, wenn ihr es nicht kapiert, dass nicht nur der Spruch in der Öffentlichkeit / das Verhalten während der Autogrammstunde ein "Fehler war", sondern die Gesinnung der Person als solche.
Solange ihr so einer Person noch billigt, euer Trikot über zu streifen, sind all eure Bekundungen schlichtweg heuchlerische Kackscheiße!
Und dann war da auch noch Fußball. Hätte so oder so ausgehen können. Mit einem Schiri Tobias Reichel, über den wir uns dieses Mal nun wirklich nicht beschweren können und der nach dem Spiel gezeigt hat, wie Antidiskriminierung geht, indem er den Spielball einer im Rollstuhl sitzenden Person geschenkt hat. Danke dafür!
Ich könnte jetzt auch noch das Spiel etwas tiefer beleuchten, von meinen spielbezogenen Emotionen schreiben, zur Stimmung, zu einem grandiosen Nikola und und und. Aber erstens ist die explizit sportliche Aufarbeitung hier nie unser primäres Ding gewesen (wir verweisen wie gewohnt gerne an den Millernton) und zweitens, habe ich da gerade gar keinen Bock zu. Stattdessen schließe ich mich lieber den Glückwünschen der Süd-Choreo zum 25 jährigen Bestehen des Babelsberger Filmstadt Inferno an. Soviel Platz muss sein.
Um das hier positiv enden zu lassen: Ich freue mich einmal mehr über den großen Zusammenhalt in unseren Reihen, über die gemeinsamen Werte (die selbstverständlich auch noch immer viel zu viele Lücken haben, an denen wir gemeinsam weiter arbeiten müssen) und über die beiden weiblich gelesenen Personen, die eins der "Frauen"-Klos heute mit einem Sticker in eine FLINTA*-Toilette umfunktioniert haben.
Mit Euch geh ich in jede Liga!
Gute Nacht!
Verweise:
Millernton (Maik): Kein Happy End unterm Regenbogen
Millernton (Tim): Das Tor fehlt - schon wieder
Landeskoordination Inter* NRW
TransInterQueer e.V.
Mythen vs. Fakten: Die Wahrheit über Trans*- und Inter*geschlechtlichkeit