Freitag, 27.12.24, 19:30 Uhr, 18. Spieltag, Premier League, Amex Stadium (Falmer)

Intro aka Vorbericht

Unfassbar: So oft ich auch in UK bin, es ist mein erstes Mal Premier League und es findet leider nicht am "legendären" Boxing Day, sondern einen Tag später statt, was im Grunde auch scheißegal ist. Bisher habe ich es auf der Insel tatsächlich nur zu einem Heimspiel von Celtic geschafft, was ziemlich enttäuschend war und mir unabhängig davon natürlich längst nicht mehr in den Sinn kommen würde.

Warum ausgerechnet Brighton? Gilt der Verein des Pokermillionärs Tony Bloom doch als das, was in Teutschland z.B. der VfL Wolfsburg ist: Absolut belanglos. Stopp, falsch! Was der VfL Wolfsburg war, bevor sie diesen Coup mit Kevin Behrens landeten. Was war das damals für ein genialer Griff in die Trickkiste: Einfach einen unwichtigen Ersatzspieler auswählen, der ausreichend unsympathische Macker-Attitüde mitbringt und diesen mit einer queerfeindlichen Äußerung beauftragen, so dass der VfL über Nacht zum Kackverein mutiert. Das ist doch 1000 mal besser, als komplett belanglos zu sein. Dazu noch ein paar absolut armselige Äußerungen eines "leitenden Angestellten" der Marke "irgendwann ist auch mal gut" und fertig ist ein sogenannter "Hassverein" (sic!). Genial! Doch ich schweife ab.

Aber nicht nur die vermeintliche Belanglosigkeit der "Seagulls" wirft Fragen auf, denn alleine die Tatsache, dass die Clubs der Premier League sich in Privatbesitze befinden und sowas von weit entfernt von Mitgliedergeführt sind, spricht nicht gerade für eine schon lange dahergehende sympathische Entwicklung. Und so steht auf der anderen Seite - beim Brentford FC - heute der "Wettspielmillionär" Matthew Benham. Dieser betrat die Glücksspielbranche im Jahr 2001, als ausgerechnet Tony Bloom, der heutige Eigentümer von Brighton & Hove Albion FC, ihn bei Premier Bet anstellte. Benham verdiente eine beträchtliche Summe Geld auf dem asiatischen Wettmarkt, indem er ein an der Uni von Lancester entwickeltes statistisches Modell verwendete, das die Wahrscheinlichkeiten von Fußballergebnissen genauer vorhersagen konnte als die Buchmacher.* Das klingt alles nicht gerade nach altenglischer Fußballromantik.

Weitere Gegenargumente: Während sich manche Stadien in UK noch immer mitten in den Städten befinden, wurde das "Almex" auf dem Campus der Brighton University, rund 7 km vom Stadtzentrum entfernt, erbaut. Parkplätze gibt es dort kaum und ich habe mit meinen Phobien jetzt schon Schiss vor der Abreise mit Bus oder Bahn. We will see. Und last but not least gibt es in Brighton noch einen anderen Club, der auf dem ersten Blick für unsereins deutlich attraktiver daherkommt: Der Whitehawk FC, der seinen kleinen Ground direkt neben dem Campingplatz hat, wo wir - wenn nicht gerade Winter ist - bei unseren zahlreichen Brighton-Besuchen im Regelfall hausen. Der WFC zeichnet sich durch seine antifaschistische Fanszene aus und spielt in der Isthmian League Premier Division, was im Ligenbaum Ebene 9 von 22 bedeutet. Der McLaren Enclosed Ground fasst gut 3.000 Besucher*innen, doch wie das in Zeiten wie diesen so ist, ob im Fußball oder im Punkrock: Gerade da, wo die progressiven Menschen zu Hause sind, gibt es zwischen (nicht nur) englischen und teutschen Aktivist*innen und sonstigen politisch links stehenden Personen und Gruppen nach dem Hamas-Terrorangriff am 07.10.2023 meist große Differenzen. Ich erinnere nur an die Auflösungen internationaler FCSP-Fanclubs oder an den Clapton FC. Ich weiß allerdings auch nicht, wie das beim WFC so aussieht und morgen ist dort tatsächlich auch ein Heimspiel, aber irgendwie traue ich mich deswegen auch nicht wirklich hin. Ich ertrage sowas schlichtweg nicht.

OK, kommen wir endlich zum positiven: Ich bin total gerne in Brighton, in dieser bunten, progressiven Stadt an der Küste. Dieses Veganer*innen-Paradies mit seinen wunderschönen Gassen und tollen Pubs, wo es tatsächlich überraschend wenig optische Parteiergreifung bei o.g. Thema gibt. Und natürlich nicht zu vergessen: Der Queens Park, wo wir uns Stundenlang zum Eichhörnchen füttern aufhalten können. Auch wenn ich weit von Lokalpatriotismus entfernt bin, kann ich nicht leugnen, dass ich deswegen auch so ein ganz klein wenig Interesse an dem lokalen Premier Legaue-Verein verspüre. Und dass Fabian Hürzeler dort Trainer ist, für den ich nach wie vor ausschließlich positive Emotionen habe und ihm dankbar bin für alles, was er für den FCSP getan hat, war am Ende der Tropfen, der uns dazu motivierte, dann doch endlich mal ein Spiel der Seagulls live anzuschauen.

Um an Karten zu kommen habe ich zunächst diverse E-Mails an verschiedene Stellen des Vereins geschickt, was gar nicht mal so leicht war, da die Zuständigkeiten und Ansprechpartner*innen nicht direkt ersichtlich sind. Mir wurde vorgeschlagen eine Mitgliedschaft für Fans außerhalb von UK, die hier tatsächlich teurer ist, als für in England wohnende Fans, abzuschließen. Nee, danke, da fehlt mir dann doch das Herz für. Dass wie bei unserem Fanladen extra ein paar Tickets für Fans außerhalb der unnötigen Ländergrenzen reserviert werden, gibt es hier leider ebenfalls nicht. Doch dann bekam ich doch noch die entscheidende Antwort: Irgendwann gibt es den offenen Verkauf und im Regelfall auch immer noch ein paar Resttickets. Und so auch dieses Mal: Wir bekommen noch zwei zusammenhängende Karten für jeweils 47 GBP (ca. 56 Euro) im Block E3G, welches auf der East Stand (wie geil das irgendwie schon klingt, ernsthaft!) auf der Höhe ist, was am Millerntor von der Lage her in etwa so wie Block G1 wäre. Nur dass sich links neben uns auf der (tatsächlich!) South Stand die Gäst*innen-Fans befinden.

56 Euro - das ist auch nicht mehr, als wir inzwischen von vielen Auswärtsspielen gewohnt sind. Allerdings nicht etwa, weil die Preise in UK niederschwelliger geworden sind, sondern weil die teutschen Verhältnisse heimlich, still und leise preislich längst angeglichen wurden.

Und wo ich gerade diesen Vorbericht schreibe, kommt direkt eine E-Mail von den Seagulls daher geflattert: "Bitte beachten Sie, dass es vor dem Anpfiff, etwa um 19:22 Uhr, eine Lichtshow im Stadion geben wird. Alle Unterstützer*innen, die Bedenken hinsichtlich blinkender Lichter haben, möchten möglicherweise während dieser Zeit in der Halle bleiben." Hui, Vereinspyro nach exaktem Zeitplan. Sicher auch der feuchte Traum manch teutscher DFB-/DFL-Funktionäre. Das kann ja spannend werden. See you later!

Matchday

Die Anreise

Ab 16:15 Uhr darf mensch bei 19:30 Uhr-Spielen die Busse und den Zug, der direkt am Stadion hält, benutzen. Wir wählen dennoch den Bus, denn der fährt nur wenige Meter neben unserer Unterkunft ab und wir erhoffen uns eine stressfreiere Anreise. Und natürlich betreten wir Punkt viddel nach vier den Bus 29 am Churchill Square und es ist niemand erkennbar zum Fußball unterwegs. Irgendwann steigt noch eine Person mit blau-weißem Schal hinzu, das war es dann aber auch.

Als wir nach 20 Minuten aussteigen ist alles Nebelverhangen und das soll sich während des Spiels auch nicht mehr ändern. Unterhalb des Daches ziehen durchgehend Nebelschwaden umher, was zum einen atmosphärisch ganz nett ist (gerade dann wenn mal wieder eine Fledermaus hindurch flattert), aber für Fotos eher bescheiden.

Vor dem Stadion

Wir gehen eine Runde um das Stadion, was wenig spektukulär ist. Sowas wie einen Fanladen muss mensch erst gar nicht suchen. Es gibt diverse Loungen, wo Normalsterbliche aber nicht reinkommen, sondern nur Mitglieder des exkusiven "Club 1901", der bis 2026 jedoch keine neuen Mitglieder mehr aufnimmt (nicht, dass wir Interesse gehabt hätten). Wir machen einen kurzen Abstecher in den schon jetzt überraschend vollen Fanshop, der geschätzt 4 x so groß ist wie der unsrige. Schals gibt es hier für 10 GBP (ca. 12 Euro) aufwärts und hier und da auch immer mal Artikel in Regenbogenfarben.

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Für Unterhaltung außerhalb sorgt ein schön anzusehener alter KfZ-Anhänger mit DJ inside, der jedoch ebenso fürchterliche wie laute Musik aus den Boxen dröhnen lässt. Wenn wir vorher etwas trinken möchten, bleibt uns nur "Dick's Bar", die sich in der North Stand befindet und soviel Scham besitzt wie ein temporär hergerichteter Getränkestand bei einem Amateuer-Hallenturnier. OK, es ist größer, es gibt tatsächlich auch - typisch englisch - viele Zapfhähne mit diversen Biersorten und Cider und ganz so schlimm ist es dann auch nicht. Aber eben null gemütlich, hell, voll und der große Bildschirm mit Sky Sports darf natürlich auch nicht fehlen. Für das Pint Birra Moretti (mein Lieblingsbier, wenn es um die gängigen Zapfhahn-Lager in UK geht) latze ich hier 7 Pfund, was mit 8,45 Euro auf meiner Debitkarte zu Buche schlägt. Oha!

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Aufkleber sucht mensch im gesamten Stadionumfeld und auch später im Stadion vergeblich. Dafür sehen wir aus dem Bus heraus auf der Fahrt zum Stadion 6 bis 8 Typen, die ein Hinweisschild großflächig mit "Dynamoland" überkleben (was in UK so richtig teuer werden kann, aber Dresdener sind halt megamutig). Dann dreht sich einer von ihnen zum Bus, reckt die Faust und krakelt mit möglichst dumpf männlicher Stimme "Dynamou, Dynamou!" in den bereits dunklen Nachmittagshimmel. Ich muss lachen.

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Der Einlass & Umlauf

Gegengerademegaschlangen sind hier undenkbar. Wozu auch? Es haben ja eh alle ihren personalisierten Sitzplatz. 2 Stunden vor Spielbeginn öffnen die Tore und wir können ca. 10 Minuten danach direkt durchgehen. Es ist tatsächlich niemand vor uns. Gefilzt werden wir nicht, aber beide (weiblich und männlich gelesen) von männlich gelesenen Personen gefragt, ob wir Taschen dabei hätten und dann werden wir von ihnen mit Elektroscannern Flughafenlike auf Waffen gecheckt.

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Oben langweilen sich die Bediensteten noch an den Verköstigungsständen. Für Veganer*innen gibt es für 5,50 GBP (6,64 Euro lt. Debitkarten-App) schmackhafte Pies (für nicht-Veganer*innen natürlich deutlich mehr Auswahl). Und - zu meiner großen Überraschung - es gibt sogar alkhaltiges Bier und zwar Cruzcampo (4,4 ABV, in Einwegplastikbechern) für 6,50 GBP/Pint (7,85 Euro). Daneben steht "maximal 4 Drinks pro Person", was sich aber auf "auf einmal" beziehen dürfte, da ja nicht zu überwachen, so gerne mensch das hier vermutlich tun würde. Ich hatte das von Celtic so in Erinnerung, dass es eben nur vor dem Spiel in der Stadionkneipe Alkoholhaltiges gab, die dann irgendwann zumachte und drin gab es dann nix. Vielleicht ist das in der Premier League schlichtweg anders.

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In den Block bekommt mensch sein Bier jedenfalls nicht, dafür aber alles Nichtalkoholisches, wie diverse Tees oder Cola, die hier tatsächlich in Plastikflaschen rausgegeben werden. Das tut am Kopf sicher mehr weh, als ein daher geworfener Bierbecher. Die Gefahr dürfte allerdings minimal sein, da die personalisierten Tickets und ein kaum vorhandener Schwarzmarkt (mensch wird sogar darauf hingewiesen, seinen Ausweis evtl. zum Abgleich der personalisierten Tickets vorzeigen zu müssen, was aber nicht geschah) in Kombination mit der in UK sowieso überall vorhandenen Kameraüberwachung (CCTV), ein Identifizieren wohl in Sekundenschnelle zur Folge haben dürfte. Ich stelle mir vor, wie irgendwer im Keller sitzt und mit der Maus über die Köpfe der Stadionbesucher*innen fährt und dabei direkt die Namen der Personen angezeigt werden. Gruselig.

W-LAN gibt es auch, das funktioniert hier sogar auch im Stadioninneren. Die Musik ist laut, aber leider größtenteils schlecht. Immerhin wird Teenage Kicks von The Undertones gespielt. Unmittelbar vor Spielbeginn erinnert die Mucke hingegen eher an Marschmusik und passt besser zu Großwildjäger*innentreffen, als zum Fußball.

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Absolut positiv hingegen die WC-Situation für Frauen (nenne ich nach wie vor bewusst so, weil die Klos natürlich auch hier binär ausgezeichnet sind): Die Schlangen dort sind deutlich kürzer, als vor den Männer-Klos (wo es aber auch zügig voran geht) und drinnen gibt es sogar Tampons und Binden.

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wc binden

Für Veganer*innen, die im Stadion bei dieser nassen Kälte auch gerne mal einen Tee oder Kaffee mit Milch konsumieren: Es gibt sogar überall an den Stehtischen Kisten mit kleinen Sojamilchportionen. Egoistisches Arschlochverhalten findet hier offenbar so gut wie nicht statt. Generell ist es in UK ja immer auffallend, dass sich die Menschen ständig für irgendwas entschuldigen, insbesondere, wenn sie vermeintlich im Weg stehen und so ist es auch im Stadion: Kommt dir wer entgegen und weicht zur gleichen Richtung aus, entschuldigt sich die Person und die andere natürlich auch.

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Ich muss dabei immer an eine Situation denken, als wir mal in London waren und wir dort so eine Gratis-Cola-Werbeaktionsdose bekamen, die unfassbar viel Kohlensäure enthielt. S. musste daraufhin unkontrolliert extrem laut rülpsen und in dem Moment passierte jemand unseren Laufweg, so dass diese Person zwangsläufig aus kürzester Distanz direkt angerülpst wurde. Während S. vor Schreck erstarrte, drehte sich die Person dann zu ihr um uns sagt nur: "Sorry!"

Inside & Stimmung

Als der "Peter Nemeth von Brighton" aus der Kabine kommt, um Hütchen aufzustellen, sind vielleicht 300 Leute im Stadionrund und es ist still. Als die Mannschaft ca. 45 Minuten vor Spielbeginn zum aufwärmen folgt, sind es vielleicht 1.000. Kein Geschrei, kein Gegröhle, nur ein wenig Applaus. Auch das ist sicher (mit) der Stehplatzlosigkeit geschuldet, macht aber irgendwie traurig.

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Als es immer weiter in Richtung Anstoss geht und sich das Stadion langsam füllt, geht auch hier die Kamera durch die Reihen und das Ergebnis wird in Echtzeit auf die Anzeigetafel projeziert. Als wenn die meisten das nicht eh machen würden, wird auch noch dazu aufgefordert, doch bitte zu winken, wenn mensch optisch eingefangen wird. Gefühlt werden alle Besucher*innen einmal getroffen, außer wir. Uns hat mensch vermutlich direkt angesehen, dass wir auf so einen Scheiss keinen Bock haben.

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Die anfangs erwähnte Pyro-Show: Eieieieieiei. Zunächst wird für ca. 20 Sekunden das Flutlicht etc. bemüht, um irgendwelche Blitzlichteffekte zu fabrizieren. Danach dachten wir, das sei es schon gewesen. Doch dann werden doch noch vor unserer Tribüne Flammen aus irgendwelchen Rohren oder Tonnen synchron senkrecht nach oben katapultiert. Hat was von Zirkus Roncalli, ist aber für einen kurzen Moment wenigstens schön warm.

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pyro

Unsere Plätze im Oberrang sind top. Es riecht zwar irgendwie anfangs nach Fisch und ich wir haben die zwei äußeren Plätze, unter uns ist aber nur noch eine Reihe, davor irgendein Dach und darunter die Rollstuhlplätze. Wegen des Runddaches, sind genau hinter uns beiden keine Plätze mehr, da die Sitzreihen nach oben/außen hin immer kürzer werden. So bin ich vermutlich die einzige Person im gesamten East Stand, die durchgehend steht. Ohne dass jetzt ein Teil meines Herzens für die Seagulls schlägt, bin ich halt doch "für" Brighton und gestikuliere und kommentiere in Selbstgesprächen entsprechend. Still sitzen kann ich beim Fußball schlichtweg nicht. Um mich herum hält sich die Emotionalität in unserer Ecke jedoch in Grenzen, wenn eine der zahlreichen Torchancen vergeben wird. Liegt vielleicht auch daran, dass neben uns viele Familien sind, die möglicherweise auch nicht immer ins Stadion gehen. 

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Der Gäst*innenblock ist nicht ganz gefüllt und im gesamten Stadion gibt es nichts, was auch nur annähernd auf Fußballfankultur - wie wir sie kennen - schließen lässt. Wir machen insgesamt eine Person mit Fahne aus, die gar nicht so weit von uns entfernt ist, aber die Fahne sehe ich  das gesamte Spiel nicht. Vermutlich war sie nur für den Fall eines Torerfolges dabei.

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Fabi Hürzeler hatte schon bei seiner Antrittsrede betont, wie ihn die Atmosphäre hier begeistern würde und ich frage mich die ganze Zeit vor dem Spiel, ob sich die Leute hier nicht komplett verarscht gefühlt haben. Doch dann passiert das Unerwartete: Auch wenn ich überhaupt nicht sehe, dass irgendwer irgendwie supportet, gibt es von Beginn an und tatsächlich auch über große Strecken des Spiels (in der 2.Halbzeit auf Grund des Spielverlaufs dann allerdings doch etwas weniger) einen überraschend lauten und auch geilen Oldschool-Support. Den nehmen wir in voller Lautstärke wahr, obwohl sich neben uns auf der South Stand direkt der Away-Block befindet, der durchaus auch öfter mal auf sich aufmerksam macht. Wem in Teutschland der Ultras-Gesang zu wenig spielbezogen ist und sich den Roar zurückwünscht, der dürfte hier tatsächlich etwas zufriedener sein. Mir fehlt hier hingegen komplett eine bunte Fußballkultur, wie wir es vom Millerntor gewohnt sind, auch wenn ich dem überraschend kraftvollen und "peitschenden" Oldschool-Support hier durchaus was abgewinnen kann. So gibt es hier nicht eine einzige Zaunfahne (ok, es gibt auch keine Zäune, aber genug andere Möglichkeiten zur Befestigung), Banner oder sonstige optische Bekundungen. Von so etwas wie einem optisch auszumachenden Support-Block ganz zu schweigen.

einlauf

Auch ganz anders als in Teutschland: Die Ersatzbälle werden hier am Spielfeld entlang von den Ballkindern auf kleine Hütchen gestellt, die auch durchgehend allesamt bestückt sind, damit so Typen wie Otto Stange (Achtung, Mopo-Link!) erst gar keine Profilierungschancen haben (vielleicht habt Ihr ja auch die eine oder andere Szene aus England im Kopf, wo das auch mal anders war). Torchancen werden direkt nach den Szenen noch einmal auf der Leinwand gezeigt. Ich habe ja tatsächlich manchmal im Stadion bei schlecht zu sehenden Situationen den Zehntelsekundengedanken "jetzt bin ich aber mal auf die Wiederholung gespannt", bevor mir klar wird, dass ich mich ja im Stadion befinde. Hier wird mir geholfen.

Das Spiel

Brighton vergibt in Halbzeit eins Chance um Chance und auch die verletzungsbedingte Auswechslung des bis dahin überragenden Brentford-Keepers, ändert da nichts dran. Brentford hingegen trifft, der VAR erkennt aber eine minimale Abseitsposition. Nach dem Wechsel kommen die Gäste besser ins Spiel, es entwickelt sich gerade zum Ende hin ein offener Schlagabtausch, ohne dass irgendwer trifft. An Spannung und Torszenen mangelte es jedenfalls nicht.

Das Publikum ist trotz des Supports offenbar noch ungeduldiger mit Keepern, die sich an Fabi's taktische Route halten, als einst bei uns. Wobei mensch den Seagulls-Fans allerdings zu Gute halten muss, dass die Feldspieler hier deutlich weniger auf das Warten des Keepers eingehen. Und so werden viele Bälle von ihm dann mangels Anspielstationen doch irgendwann nach vorne geschlagen. Wie oft habe ich innerlich geschrien: "Carlos (Baleba), ey, jetzt komm doch endlich mal die 2 Meter entgegen!".

Und last but not least erwähnenswert die Nicht-Rote-Karte gegen João Pedros, der im Mittelfeld gehalten wird, stehen bleibt und dann mit voller Wucht versucht seinem Gegenspieler den Ellenbogen ins Gesicht zu rammen. Ein Treffer hätte garantiert eine verletzungsbedingte Auswechslung bedeutet, doch er verfehlt den Kopf seines Gegenspielers nur knapp. Ich dachte ja immer, dass nach wie vor auch der Versuch einer Tätlichkeit strafbar ist, aber trotz VAR-Checks gibt es hier nix. Keine Ahnung, ob meine Regelkenntnis hier nicht mehr aktuell ist oder ob an meiner Wahrnehmung was nicht stimmt, die ich mir sogar später noch mittels TV-Bildern habe bestätigen lassen.

Abpfiff & Abreise

Mit Schlusspfiff springen sämtliche Stadionbesucher*innen (zumindest bei uns im Block, vermutlich aber überall) innerhalb einer Zehntelsekunde hoch und gehen schnellen Schrittes Richtung Ausgang. Wir machen das tatsächlich auch (was ich bei FCSP-Spielen niemals tun würde), weil meine Phobien und Hochsensibilität eh schon die ganze Zeit eine dunkle Wolke mit dem Wort "Abreise" über meinem Kopf gezaubert haben. Draußen rennen dann Menschenmassen aus beiden Richtungen wild umher und wir machen zwangsläufig mit. Am Ende eines breiten Weges geht es ganz rechts zu den Bussen nach Brighton, daneben zu den Zügen Richtung Norden (Lewes) und links zu den Zügen nach Brighton, alles gut ausgeschildert. Der Masse die zu den Bussen strömen erscheint mir nicht geringer als die, die zum Zug wollen, also entscheiden wir uns in dem Strom zum Zug zu bleiben und dann heißt es erstmal stehen in der Menschenmasse, wo es kein vorn und auch kein zurück mehr gibt. Ich hasse das!

Zum Glück verstehe ich hier niemanden, denn die teils grausamen Gespräche in Fußballfanmassen tun häufig noch ein übriges zu meinem Unwohlsein bei. Ich schaffe es immerhin ohne Panikattacke hier raus und tatsälich bewegt sich die Masse alle 10-15 Minuten für etliche Meter weiter. Es werden immer so viele Personen durch die Gitter gelassen, wie in einen Zug passen. Am Ende warten wir vielleicht 20-30 Minuten, weniger als befürchtet und mit geschlossenen Augen stehe ich möglichst flach atmend im Zug um nach 3 Haltestellen endlich rausgelassen zu werden.

Es ist schon krass, was mensch sich so trotz aller bewussten persönlichen psychischen Hürden aufhalst, weil die Vorlieben dann doch irgendwie Überhand gewinnen und die Momente des Genießens die entscheidenden sind. Meine Erschöpfung ist allerdings entsprechend und es dauert ne Weile, bis mein Kopf sich in unserer Unterkunft aus den Stützen der Hände wieder herausbewegt. Oder anders: Es war "nett" und damit ist nicht der kleine Bruder von "Scheiße" gemeint. Es gab durchaus ein paar überraschend positive Dinge (Support, Verpflegung), am Ende des Tages bin ich aber trotzdem froh, bald wieder mit dem FCSP away im Gäst*innenblock zu stehen und mir die Seele aus dem Hals supporten zu können. Wenn Football wieder home comes. Gute Nacht!

Verweis: 

Ganz hilfreich war für uns der Blog "We Are Brighton".

Quellenhinweis: 

*Zweitquelle Wikipedia, Erstquellen: Adhikari, Somak (3. Juni 2021) „Matthew Benham, Brentford und die Premier League – eine Geschichte wie keine andere“. India Times. Times of India. Abgerufen am 19. Oktober 2022; Naylor, Andy; Harris, Jay (24. Dezember 2021) "‚Ein kalter Krieg‘: Die Rivalität zwischen Tony Bloom von Brighton und Matthew Benham bei Brentford“ The Athletic; The New York Times Company; Abgerufen am 19. Oktober 2022.

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