Mittwoch, 15.01.25, 18:30 Uhr, 17. Spieltag und das Ende der Hinrunde, 1. Bundesliga (M), Millerntor
Kapitel 1
Vorgeplänkel
Ein Blick auf die Fanclubinterne Herkunftkarte und schon wird deutlich, dass wir fast von einem Sternenmarsch gen Ruhrstadion sprechen können. Die Betonung liegt auf "fast", weil ein Stern ja doch mehr als eine Seite hat. Wie auch immer: Wir sind bei diesem "Heimspiel" natürlich vollzählig (und fahren sogar noch vollzähliger wieder nach Hause, herzlich Willkommen, L.!) und ich bin äußerst gespannt, was unter anderem auf folgende Gegebenheiten zurück zu führen ist:
- Nicht nur in meinem Wohnumfeld (irgendwo im Ruhrgebiet) zieren zahlreiche "VfL-Fans gegen Rechts"-Aufkleber das Straßenbild. Ich habe keine Ahnung, wer dahinter steckt, aber ist schon mal geiler, als in Leverkusen.
- Auch die gemeinsame Fan-/Ultras-Freundschaft der Bochumer*innen mit dem FCB ist in dem Kontext natürlich interessant (jahaa, bei uns ist das primär auf Ultra-Ebene, in Bochum geht es wohl darüber hinaus).
- Ich kenne zwangsläufig auch ein paar Leute aus der ruhrpöttschen "Punkszene" die dem VfL verbunden sind.
- Ich bin ja sooo gespannt, ob die Ostkurve noch immer "A*****, W*****, H*****" schreit (ok, es ist seeehr lange her, dass ich das letzte Mal hier war).
Obwohl niemand von uns mehr als 20km Luftlinie vor sich hat, könnte die Anreise dank Lohnabhängigkeiten und (nicht nur) derzeitigem Öffi-Chaos noch eine echte Herausforderung werden. Falls ich mich also nicht nochmal melde, wisst Ihr warum.
Kapitel 2
Anreise & Stadion
Hallo, hier bin ich dann doch nochmal. Ja, Zug-/S-Bahn-Ausfälle hier und gar Straßenbahnausfälle dort, aber irgendwie haben wir es alle geschafft. Ist am Ende der Öffi-Reise auch alles halb so wild, weil es schließlich "nur" zum Ruhrstadion geht und das werde ich jetzt - zumindest teilweise - mal kurz abfeiern müssen:
Seit 1979 ist das Ruhrstadion ein reines Fußballstadion und war damals das non plus ultra. Ich bin Ende der 80er viel durch Stadien gehoppt und das Ruhrstadion war mir eins der allerliebsten. Zwar wurde es im Laufe der Jahre durch Umbaumaßnahmen von einer Kapazität von ca. 50.000 auf ca. 30.000 arg verschlimmbessert (so wurde z.B. die Hintertor-/Westtribüne bereits 1997/98 von einer reinen Steh- in eine Sitztribüne verwandelt), doch in seinen architektonischen Grundzügen hat sich nicht viel geändert. Und: Es liegt nicht am Arsch der Heide! Gerade mal 2km sind es, die die gemeinen Fans vom Hauptbahnhof zu Fuß hinter sich bringen müssen. Vor allem der Marsch über die Castroper Straße ist ja fast schon "legendär": Gespickt mit zahlreichen Büdchen, wo das Flaschenbier am Spieltag nicht nur ungewöhnlich teuer ist (halber Liter 3 Euro), sondern auch noch in Einwegplastikbechern ausgeschenkt wird (sofern mensch keine Nulldreier Dose wünscht), ist der Weg vorbei an Wohnhäusern (und nicht an Brachgeländen oder Industrievierteln) schon ein Stück Fußballromantisch.
Und so bauten und bauten die Bochumer*innen ihr Stadion immer weiter um, so dass heute nur noch 26.000 Besucher*innen Platz finden und der Gäst*innen-Stehplatzbereich wie in den ganzen beschissenen Neubaustadien komplett hinter der Eckfahne liegt. Gefühlt spitzer nach unten zulaufend, als anderswo. Ich frage mich echt, wie solche Stehplatzblöcke überhaupt durch die teutschen Sicherheitsbehörden kommen, denn wird hier wirklich mal aus Gründen der Panik oder Whatever von oben nach unten heftigst gedrückt und geschoben, dann helfen auch die Fluchttore nicht mehr zwingend. Ja, ist vielleicht (aber auch nur vielleicht) ein unwahrscheinliches Szenario, jedoch in diesem unserem (sic!) teutschen Lande, wo Reglementierung zur Leidkultur gehört, durchaus verwunderlich. (Jetzt hätte ich doch fast ganz polemisch "aber sind ja nur Fußballfans" geschrieben, aber mach ich natürlich nicht.)
Weil wir poltisch sind, gehört auch das hier rein:
Die NS-Zeit wurde erst vom Bochumer Fanprojekt 2018 aufgearbeitet und dieses machte deutlich, dass das 1848 im Vereinsnamen nur der halben Wahrheit entspricht. Denn:
"Die „Arbeitsgruppe Erinnerungsorte Bochum“ fand heraus, dass am 14. April 1938 drei Bochumer Sportvereine auf Wunsch der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei zum VfL Bochum 1848 „zwangsfusioniert“ wurden."
Quelle: awo westliches westfalen
Und so kommt es auch nicht von ungefähr, dass Hitler am 24. Juli 1932 im "Stadion an der Castroper Straße" (so wie es damals noch hieß) eine Rede im Reichswahlkampf hielt, bei der zahlreiche hochrangige NSDAP-Funktionäre, wie z. B. Ernst Röhm anwesend waren. Ein Jahr später fand eine erste Massenparade statt, die im Bochumer Stadion endete. Auch große Gau- und Kreisparteitage wurden hier in den folgenden Jahren abgehalten.
Quelle: Bochumer Nachrichten vom 15.07.1932, abgerufen am 05.07.2023; Henry Wahlig: anne Castroper – Ein Jahrhundert Fußball mitten in Bochum. 1. Auflage. Die Werkstatt GmbH, Göttingen 2011, ISBN 978-3-89533-779-6.
Kapitel 3
Inside
Wir sind wie gewohnt früh drin und die Bannerkontrolle hatte schon was Loriot- bis (Marc-Uwe Kling's) Känguru-lastiges. "Einmal ausbreiten bitte, was steht da?", "Unser Fanclubname.", "Bitte einmal gerade halten." (...), "Was steht da genau?", "RilRec Youth", "und was ist das?", "Unser Fanclubname!", zweite Person wird hinzu gezogen: "Was steht da?", "Unser Fanclubname!". "Einmal drehen bitte!" (...) Beide gucken sich an, der eine scheint etwas ratlos, der andere nickt großzügig. Wow!
Immer wieder schön diese Saison: Der Away-Block schon bei unserer Ankunft komplett von Bremer*innen vollgestickert.
Dann mal flott den von höchster Stufe abgesegneten (liebevoll so genannten) "Fanlcub-Lappen" ans Mundloch gepinnt und versucht durch den tief stehenden Nebel das Stadion aufzusaugen. Geht nicht, verdammt:
Tief im Nebel. Oder zusammen mit der Sonne verstaubt?
Dafür geht es aberwitzig weiter: Wir sind in Block F, dem (eigentlichen) Sitzplatzbereich. Zur Grenze zu unserem eigenen Stehplatzbereich, stehen alle paar Stufen Ordner*innen. Was aber noch viel spektakulärer ist: Die ersten 3 bis 5 Sitzplätze je Reihe zu den Stehern hin, wird von so einer Plane bedeckt, wie mensch sie als provisorische Trennung zum Heimbereich kennt (auf dem Foto noch in blau, später in braun-weiß überhangen). Die Blocktrennungen home/away haben ja bekanntermaßen nicht immer "ausreichend" Pufferzonen, so dass viele Ausrichter sich dieser Hilfsmaßnahme bedienen. Dass das aber zwischen den Steh- und Sitzplätzen der Fans des gleichen Vereins so gemacht wird, habe ich (glaube ich) bisher noch nicht gesehen und es macht auch wenig Sinn. Fun Fact: Zwischen unseren Stehplätzen und den Sitzplätzen auf der Südtribüne (Gegengerade) gibt es diese Plane nicht.
USP & Co. mögen den Stehplatzblock offenbar auch nicht und gesellen sich heute auf die Sitzer. Allerdings nicht alle mit entsprechenden Karten, so dass vor dem Spiel unter den Augen der durchgehend tatenlosen Ordner*innen der Zaun von Steh zu Sitz von zahlreichen FCSP-Fans überklettert wird (jetzt wäre beinahe ein Schuh draus geworden, aber!). Heißt für uns: Bessere Stimmung auf den Sitzern, aber auch merklich weniger Platz. Das war da oben bei uns, anfang des oberen Drittels, schon etwas grenzwertig eng und entsprechend geteilt fallen auch die Reaktionen ringsherum aus. Unterm Strich bleibt, trotz zugestellter Treppen und verdrehtem Rücken, wenn sich mal wieder wer zwischen uns und den Sitzplatzschalen durchdrängeln musste, aber alles noch halbwegs im Rahmen (Betonung liegt auf "halbwegs") und wir sind happy, dass es stimmungsmäßig auf den Sitzern mal etwas besser ist, als hier und da in dieser Saison schon erlebt (obwohl in der Hinsicht "Sitzer oben" wirklich auch noch deutlich mehr geht).
Und gegenüber? Hören wir 90 Minuten lang so gut wie gar nicht. Auch nicht das besagte "A..., W..., H.......", was aber vermutlich tatsächlich längst abgeschafft wurde (hope so!). Erst als die Bochumer Spieler sich nach dem Match vor der Osttribüne feiern lassen, bebt es auf einmal. Ich schätze mal, dass die da drüben uns auch nicht wirklich gehört haben, falls sie genauso durchgehend supportet haben, wie unser harter Kern. Die Nebelwand und der Staub halt.
Kapitel 4
Das Spiel
Eieieieiei. Das war nix. Keine Ahnung, warum ausgerechnet heute die wohl schlechteste Saisonleistung präsentiert wurde. Das sah überwiegend schon arg nach zwei Teams aus, die zu recht ganz unten stehen. Trotzdem haben wir Chancen, als beispielsweise sowohl Dapo, als auch Jackson ihre Kopfbälle nicht gedrückt kriegen ("nicht lang schnacken, Kopf im Nacken" oder was?). Nicht das erste Mal, dass wir solche Szenen in dieser Saison sehen (und wahrscheinlich waren die Bälle beim Kopfball selber schlichtweg zu hoch, um die bekannte Handlungsansweisung vorbildlich umzusetzen).
Dass wir es besser können, haben wir erst eine Woche zuvor erlebt und entsprechend verabschieden wir die Spieler dennoch mit (wenig euphorischem) Applaus. Details wie gewohnt im Millernton-Blog.
Vermutlich ist auch der Stadionsprecher eingenickt und als plötzlich das 1:0 fällt, mit dem Kopf auf den Start-/Stop-Knopf der Stadion-Stoppuhr gerutscht. Denn ab da, nach gut 67 Minuten, erstarrt die Zeit auf der Anzeigetafel plötzlich. Erst nach 10-15 Minuten fällt das offenbar auf und dann gibt´s erstmal ne Zeit lang gar keine angezeigte Spielzeit mehr, bis das Ding irgendwann kurz vor Schluss weiter läuft.
Auch der Schiri nervt irgendwie und (unabhängig davon) wird der gebrauchte Tag durch Adam's Platzverweis nach VAR-Eingriff in der Nachspielzeit "gekrönt". Endlich sind auch "Scheiß St. Pauli!"-Rufe aus dem Heimbereich zu vernehmen. Dann Schlusspfiff, Niedergeschlagenheit und Frust. Mäh!
Halten wir trotzdem mal fest: Nach der Hinrunde sind wir Vierzehnter! Das ist durchaus ein Erfolg und ich hätte Anfang der Saison nicht damit gerechnet. Die letzten Spiele zeigen aber auch, dass die Konkurrenz ganz unten zulegt und jetzt ist es nur noch das Torverhältnis, was uns vom Relegationsplatz trennt. Zulegen müssen wir zwangsläufig in der Rückrunde auch, denn erneute 14 Punkte werden dann ziemlich sicher nicht reichen.
Dafür wird auch für die ein-zwei Clubs "über uns" die Luft etwas dünner. Union ist wieder näher an uns rangerückt und ich hätte nix dagegen, wenn die noch schön nach unten durchgereicht werden.
Kapitel 5
Schlussworte
Diese Bundesliga ruft in mir immer mehr Ambivalenzen hervor. Als Fan will ich natürlich zum einen den größtmöglichen Erfolg. Zum anderen sehne ich mich nach dieser 2.Liga. Auch wenn Bochum in weiten Teilen noch eine positive Ausnahme ist, geht mir - gerade away - soviel auf den Keks: Diese Kackstadien, die es in Liga 2 teilweise natürlich auch gibt, aber insgesamt dann doch merklich weniger. Sandhausen (auch wenn die erstmal aufsteigen müssen und wir ab, was ich natürlich niemals will) und Co. sind mir da wesentlich lieber und woran es am Ende noch liegt, dass mich die 1. Liga so sehr stresst, kann ich nicht einmal sagen. Ob an den zwangsläufig deutlich weniger Erfolgserlebnissen, ob einfach nur an meinem Kopf, an (noch viel mehr) Menschen oder whatever. Irgendwie fühlt sich das alles für mich gerade ziemlich unentspannt an. Möglicherweise ist es aber auch nur eine Momentaufnahme und in ein paar Wochen find ich das alles supertoll. We will see.
Gute Nacht!