Hach, ja. Jens LehMANN. Ich durfte oder musste ihm bereits als B-Jugendlicher gegenüber stehen. Schon damals waren die Inhalte seiner lautstarken Äußerungen auf dem Spielfeld nicht unbedingt immer wertschätzend. "Haut der Wurst da endlich einen rein!" soll er damals über den Ascheplatz am Uhlenkrug geschrien haben und meinte damit mich.
Am Ende stand es 0:0 gegen unser Team, das größtenteils seit der F-Jugend zusammen spielte. Wir wurden damals in der Niederrheinliga (es gab noch keine Jugend-Bundesliga und wir waren somit in einer dieser mehrgleisigen höchsten teutschen Spielklassen) als Aufsteiger überraschend Fünfter. Jens Lehmann samt Team scheiterte erst im Finale um die Teutsche Meisterschaft deutlich mit 0:5.
Auch in den Folgejahren wurde auf den Amateursportplätzen der Region (nein, nicht Kaiserslautern) viel über den aufstrebenden Jungtorhüter geredet. Es gingen Gerüchte um, dass er mit seinem ersten schnellen Auto gerne in der verkehrsberuhigten Zone seiner Wohngegend ohne Rücksicht auf dort wohnende und damals noch oft draußen spielende Kinder ordentlich den Tacho hochgetrieben haben soll. Ob es wirklich so wahr: Keine Ahnung. Es passte aber hervorragend in unser Bild des arroganten Jungprofis.
Nun könnte mensch auf die Idee kommen, ich sei nachtragend oder gar neidisich. Wer diesen Blog hier regelmäßig liest, wird allerdinx feststellen, dass meine folgende Kritik an Jens Lehmann dann doch eher inhaltsbezogen motiviert ist. Meine Genugtuung hatte ich derzeit ja eh schon und eine Karriere als Profifußballer war damals bereits das Letzte, wo ich Bock drauf gehabt hätte. Ganz abgesehen davon, dass ich natürlich auch nicht die dafür nötige Klasse hatte.
Kommen wir zur Sache: Jens Lehmann hatte sich angesichts der grell pinken Frise von Nationalspieler Robert Andrich während dieser sinnlosen EM beim Nachrichtensender "Welt" wie folgt geäußert (als Video zu finden bei X/Ex-Twitter, was wir hier aber nicht verlinken möchten):
"Heutzutage muss man ja vorsichtig sein. Vielleicht fühlt er sich heute ja als Frau oder so. Man muss ja sehr tolerant sein."
(Nee, Jens, muss "Mann" nicht. Biste ja auch trotz dieser Worthülsen nicht wirklich. Du darfst alles nichtstrafrechtlich Relevantes frei äußern. Dürfen diejenigen, die deine Äußerungen scheiße finden, aber halt auch.)
Ferner stellt er die Frage/Vermutung in den Raum, ob Andrich Persönlichkeitsprobleme hätte und faselt irgendwas von Nationalmannschaft und Elite, und gerade da sei sowas ja irgendwann "zu viel". Puh.
Dass Jens Lehmann im weiteren Gesprächsverlauf (und zusätzlich auf mindestens einem weiteren Sender) äußert, dass er sich sicher sei, dass "die UEFA oder die FIFA" buntgrelle Haare demnächst verbieten wird, weil: "was soll MANN denn dann noch für ein Trikot anziehen?" (gemeint ist die Verwechslungsgefahr, wenn z.B. der Torwart ein Trikot in der gleichen Farbe hätte, was ja total irritieren würde): Geschenkt! Diese Theorie macht für uns nur dann Sinn, wenn der Spieler oberkörperfrei auflaufen würde, eine ziemlich starke Körperbehaarung hätte und diese auch noch färben würde. Nach unserem Kenntnissstand gibt es allerdings diverse Regeln, die das bereits verhindern. Hier sei an den "Anhang IV zur Lizenzierungsordnung: Richtlinie für Spielkleidung und Ausrüstung" verwiesen. Außerdem gibt das im spontanen Fall gelb. Grell-Gelb!
Ich möchte nur ungerne Jens Lehmanns Kopf zum platzen bringen, habe aber noch eine Frage: Wenn "wir" (sic!) pinke Haare mit Frauen asoziieren und bei der Frauenfußball-EM pinke Haare auf ein pinkes Torwarttrikot treffen, was macht die FIFA denn dann?
Ich kann manchmal nur noch mit Sarkasmus und Zynismus reagieren, sorry dafür! Dabei ist das Thema viel zu ernst und auch die meisten kritischen Kommentare darauf sind mir viel zu verharmlosend. Da wird von Verwirrtheit gesprochen, sich über Lehmann lustig gemacht etc. Ja, die Äußerung hinsichtlich des bevorstehenden Verbots grell gefärbter Haare lädt (alleine stehend!) durchaus zu einem Schmunzler ein. Das ist schön fürs Boulevard, das ist toll, wenn mensch sich gerne über andere belustigt und auch hervorragend geeignet, um dieses furchtbare schlau-dumm-Fass aufzumachen. Und nicht umsonst gibt es auch Medien, die den ersten Teil von Lehmanns Äußerung weglassen. Aber gerade das, was davor geäußert wurde, ist tatsächlich relevant:
"Vielleicht fühlt er sich heute ja als Frau oder so."
Nennen wir es beim Namen: Jens Lehmanns Äußerung lässt den berechtigten Verdacht zu, dass er dem, was nicht in sein (noch immer normatives) hetero-binärgeschlechtliches Weltbild passt, feindlich gegenüber steht. Und ich schreibe bewusst "feindlich", wie es eben auch im Wort "Fremdenfeindlich" vorkommt. Von Phobie (Angst) kann hier wohl kaum die Rede sein. Ein Jens Lehmann wird sich vor männlich gelesenen Personen mit grellbunten Haaren vermutlich nicht wirklich fürchten. Eine Phobie als für seine Äußerungen motivierend in den Raum zu stellen, wäre aus meiner Sicht zudem verharmlosend.
Ja, Jens Lehmann. War da nicht schon mal was? Ach ja: Es ist nicht einmal 3 Jahre her, als Lehmann eine WhatsApp-Nachricht mit folgendem Inhalt verfasste:
"Ist Dennis eigentlich euer qotenschwarzer? (Grinsesmily)"
(Rechtschreibfehler im Original)
Gemeint war der teutsche Nationalspieler Dennis Aogo. Dabei hatte Ex-BWL-Student Jens Lehmann die Nachricht jedoch nicht an den geplanten Adressaten (wer auch immer das sein sollte) geschickt, sondern irrtümlich direkt an Aogo. Der machte einen Screenshot und veröffentlichte diesen auf Instagram. Pech für Lehmann, gut für die Öffentlichkeit. Sollte mensch zumindest denken. Doch die Realität ist leider eine andere:
Lehmann behauptete damals, dass seine Äußerung ja eigentlich ein Lob sei (und somit mitnichten rassistisch). In einem Tweet ergänzte er das damals mit dem Satz: "Als ehemaliger Nationalspieler ist er sehr fachkundig und hat eine tolle Präsenz und bringt bei Sky Quote." OK, dann gehört Aogo als Quotenschwarzer (so wird es richtig geschrieben) wohl in die Schublade "nützlicher Ausländer". Puh, Glück gehabt, Dennis.
Nein, das war natürlich noch längst nicht alles. Als Lehmann einst beim Sender Sky gefragt wird, wie er als aktiver Spieler auf ein Outing von Thomas Hitzlsperger reagiert hätte, antwortet er:
"Komisch, glaube ich. Man duscht jeden Tag zusammen, man hat Phasen, in denen es nicht so läuft. Aber Thomas Hitzlsperger ist ein Spieler, der erstens sehr intelligent ist, und zweitens von seiner Spielweise überhaupt nicht den Anlass gegeben hätte, dass man da hätte denken können, da ist irgendetwas."
Das bedarf nun wirklich keiner weiteren Worte, die mir gerade eh im Hals aka der Tastatur stecken bleiben.
Dass Lehmann es hinbekommt, selbst in tragischsten Momenten primär an sich selber zu denken, macht er in seiner eigenen Biogpraphie deutlich. Nach dem Selbstmord von Robert Enke (ehemaliger Keeper von Hannover 96 und damals ebenfalls Nationaltorwart) bringt er tatsächlich folgendes zu Papier. Nicht etwa spontan und live via irgendwelchen Medien geäußert (was schlimm genug wäre), sondern wohlüberlegt mit mehr als genug Zeit, das vor der Veröffentlichung noch einmal zu überdenken:
"Es geschah ausgerechnet an meinem 40. Geburtstag, dem 10. November 2009: Robert Enke nimmt sich das Leben. (…) Warum bringt sich so jemand um? Und dann auch noch an meinem 40. Geburtstag – hatte das Ganze am Ende etwas mit mir zu tun?"
Ich weiß wirklich nicht, ob ich schon mal etwas egozentrischeres gelesen habe.
Machen wir uns nix vor: Menschenfeindliche und diskriminierende (rassistische, homo-/transfeindliche etc.) Äußerungen gibt es tagtäglich massenhaft überall auf dieser Welt. Der eigentliche Skandal ist für mich, dass Jens Lehmann nach all diesen Aussagen und Vorfällen noch immer eine öffentliche Bühne bekommt. Ist es die Hoffnung auf Einschaltquoten, wenn der streitbare Lehmann über die Bildschirme flackert? Ist das wirklich so viel wichtiger, als die Menschen, die sich vor den Bildschirmen von seinen Äußerungen völlig zurecht diskriminiert fühlen? Lehmann bekommt weiter seine Bühnen, kann Äußerungen wie die über Andrich, der sich teils sicher darüber freuenden fußballteutschen Meute, zur Belustigung in die Wohnzimmer schicken. Auf Kosten von - in dieser heteronormativen Mehrheitsgesellschaft - eh schon marginalisierten Menschen. Kein "Ja, danke, Jens! Für so einen Scheiß ist hier kein Platz. Und Tschüss!" aus der Redaktion. Nö, Jens darf ausreden, er darf bleiben und seine diskriminierenden Äußerungen bleiben im Raum stehen.
Hey Medienlandschaft: Solange ihr solche Prioritäten setzt, erspart uns doch bitte eure Regenbogenflaggen in Einspielern, eure angeblichen Bekenntnisse zur Vielfalt und all den ganzen pseudorespektvollen Anstrich. Versucht es stattdessen vielleicht mal mit wirklich glaubwürdigen Konsequenzen.
Zugabe:
Lehmann steht natürlich längst nicht alleine da. Erinnert sich noch wer an Roman Weidenfeller? Wir schreiben das Jahr 2010, Weidenfeller wird für eine vermeintlich rassistische Äußerung gegenüber Nationalspieler Gerald Asamoah für 6 Spiele gesperrt. Er soll ihn als "schwarzes Schwein" bezeichnet haben. Für das DFB-Sportgericht ein klarer Fall von Rassismus (dass da niemand auf die Idee gekommen ist, Weidenfeller hätte ihn mit dem Schiedsrichter verwechselt und dachte es sei 1992, als die Schiris noch einheitlich Schwarz trugen). Weidenfeller jedoch stritt das ab und machte geltend, er habe ihn lediglich als "schwules Schwein" bezeichnet. Wie wir seitdem wissen: Schwulenfeindlichkeit ist fast genau nur halb so schlimm, wie Rassismus: Aus den 6 Wochen Sperre wurden 3 Wochen plus eine geringe Geldbuße in Höhe von 10.000 Euro.
Weidenfeller akzeptierte das und war offenbar froh, dass der Rassimsus-Vorwurf aus der Welt war. Und auch sein Verein (BVB) machte in einer Pressemitteilung deutlich, dass er "großen Wert" auf die Feststellung legt, dass "Weidenfeller damit vom Vorwurf einer rassistischen Beleidigung freigesprochen worden ist". Weitere Konsequenzen: Fehlanzeige.
Verweise/Quellen (externe Links)*:
11 Freunde: Der 51-Jährige, der sich aus dem Fenster lehnte und verschwand
11 Freunde: Die Akte Jens L.
Süddeutsche: Drei Spiele Sperre für Weidenfeller
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