Ja, es geht schon wieder um Jens Lehmann. Entschuldigt bitte diesen erbärmlichen, boulevardliken Click Bait-Versuch, den ich im Laufe des Artikels dreisterweise auch noch negieren werde. Es trifft das folgende Thema zwar wie Arsch auf Eimer, allerdings ist bereits in dieser Überschrift etwas drin, was mir zuwider ist. Kleine Vorwarnung: So polemisch die Überschrift auch ist, so halbwissenschaftlich/theoretisch und für viele vielleicht auch dröge werden die folgenden Ausführungen. Für wen das (verständlicherweise) nix ist, kommt einfach bei nächster Gelegenheit wieder vorbei. :)

Häufig höre ich direkt auf zu lesen, wenn das Wort "dumm" auftaucht (ich hoffe ihr - zumindest bis heute - nicht, denn dann war ja die ganze Arbeit umsonst). Das hat gleich mehrere Gründe:

1. Zum einen halte ich das für relativierend. Mangelnde Intelligenz ("Dummheit") geht selten mit Schuld einher. Eine Person, die eine Position als Folge ihrer "Dummheit" einnimmt, kann dafür nicht wirklich verantwortlich gemacht werden. Wenn ich ein Verhalten mit "Dummheit" begründe, dann muss ich auch in Betracht ziehen, dass der Person möglicherweise die kognitiven Fähigkeiten fehlen, um die eigene Position und/oder das eigene Handeln als "falsch" zu erkennen.

2. Auf der anderen Seite: Mangelnde Intelligenz und/oder Bildung muss im Umkehrschluss trotzdem nicht zwangsläufig zur Folge haben, dass sich eine Person scheiße verhält und unmenschenliche, diskriminierende Haltungen annimmt. Wenn ich sowas mit "dumm" gleichsetze, diskriminiere ich da meiner Meinung nach mit alle Menschen mit mangelnder Intelligenz, was z.B. auf verwehrten Zugang zu Bildung zurück zu führen ist oder andere Ursachen haben kann. Ich würde zwar selber niemals auf die Idee kommen, eine Person, die - aus welchen Gründen auch immer - nicht "so intelligent" ist, als "dumm" zu bezeichnen. Doch in der Mehrheitsgesellschaft gelten diese beiden Dinge als äquivalent. Selbst Wikipedia geht da mit:

 

"Dummheit bezeichnet einen Mangel an Intelligenz oder eine daraus resultierende törichte Handlung."


Der Duden bringt zwei Bedeutungen ins Spiel und das macht die ganze Widersprüchlichkeit schon deutlich:

(1) Mangel an Intelligenz
(2) unkluge Handlung, törichte Äußerung

Aus (1) folgt nicht zwangsläufig (2). Und umgedreht: Wer eine "unkluge Handlung" ausübt, muss nicht zwingend "mangelnde Intelligenz" aufweisen. Im Grunde sind die beiden Bedeutungen nicht zwingend miteinander verbunden. Sie können es natürlich sein und (1) kann (2) begründen, es muss aber nicht so sein. Und gerade deswegen, weil eine Verbindung durchaus vorhanden sein kann, aber es eben nicht zwingend so sein muss, finde ich es persönlich uncool, wenn das Wort "Dummheit" für irgendwelche beschissenen Verhaltensweisen und/oder Äußerungen herhält. Denn am Ende meinen wir damit eben nicht die Handlung selber, sondern die Person, die dumm ist. Die wenigsten sagen "die Aussage ist dumm", sondern beziehen sich auf die Person.

3. Und last but not least, geht der Verweis auf "Dummheit" häufig mit wenig Argumenten einher. Ist ja auch am leichtesten, die gegenseitige Position als "dumm" zu bezeichnen (bei allem Veständnis, wenn manch Äußerung dazu "einlädt" und jede inhaltliche Auseinandersetzung damit als Zeitverschwendung angesehen wird). Noch weniger übezeugend wird es, wenn beide Seiten sich gegenseitig "Dummheit" vorwerfen, was nicht selten der Fall ist. Und beide Seiten sind so überzeugt davon, die Weisheit gepachtet zu haben. Wer von beiden ist denn jetzt wirklich dumm, wenn das da einfach so steht ohne jede argumentative Kompomente, ohne wissenschaftliche Nachweise etc.? Du bist dumm vs. du bist dumm. Bringt mich nicht weiter und ist häufig für die eigene Position auch noch kontraproduktiv.

Soviel zur Einleitung. Und jetzt zum Wesentlich: 

Jens Lehmann ist gar nicht dumm!

Er hat studiert, er weiß sich auszudrücken. Und er ist für sein Handeln und seine Äußerungen durchweg verantwortlich. Er ist halt nur - aus meiner ganz persönlichen Sicht - ein Typ, der Positionen vertritt und Verhaltensweisen an den Tag legt, aus denen folgend ich persönlich ihn grundlegend scheiße finde.

Dass nicht jeder Fußballer so sein muss, dafür gibt es zum Glück ne Menge Beispiele. Progressive Positionen sind zum Glück längst kein Nischen-Ding mehr und fließen immer weiter in die "Mitte der Gesellschaft" ein. Auch wenn das von der anderen Seite her leider auch der Fall ist. Ok, ok, nun ist so ein Fußballprofi vielleicht nicht gerade die Mitte der Gesellschaft. Aber trotz aller Abschottung durch manches Umfeld innerhalb seines 24/7-Berufes (ich denke schon, dass auf Grund körperlicher und psychischer Notwendigkeiten zur Erbringung maximaler Leistung, das so gesagt werden kann), gibt es ja durchaus mögliche, offene Schnittmengen zum Erhalt solcher Inhalte.

Fragen wir uns also viel mehr:

 

Warum verhalten sich manche Fußballer so scheiße bzw. erzählen so einen reaktionären Dreck?


Mir liegt da beinahe ein "warum nicht?" auf der Tastatur. Warum sollten Fußballer großartig anders ticken, als die sogenannte Mehrheitsgesellschaft? Weil sie sich "eh alles leisten können" und gar nicht nach unten treten müssen, um sich gut zu fühlen? Das trifft auf viele andere, siehe manch AfD-Politker:innen auch zu. Wohlstand und Reichtum schützen vor Arschlochsein nicht. Was bleibt da? Ein Punkt ist sicher die Sozialisierung:

Ich habe selber ne lange Zeit nix anderes in meinem Leben gehabt, als aktiven (und passiven) Fußball (wenn ich so zurückblicke erscheint es mir zumindest so). Ich war mit 18 ja kaum anders sozialisiert, als über den Fußball (und Schule/Schulfreunde, die damals auch nicht so toll tickten). Und ich weiß schlichtweg nicht, wie ich mich persönlich weiter entwickelt (sozialisiert) hätte, wenn da nicht irgendwann der (politische / AZ-like) Punkrock in mein Leben gekommen wäre. Ich habe mich zwar vorher auch schon oft bei gewissen Verhaltensweisen meiner damaligen Freunde gefragt, was die Scheiße soll und von "ganz alleine" inhaltlich so einiges in Frage gestellt. Aber die konsequente Distanzierung blieb aus.

Das lief dann Jahre lang irgendwie parallel (aktiver Fußball/DIY-Punkrock-Strukturen sowie Konsum von beidem), aber es wurde für mich Dank neuer Freund:innen und Bekannter aus dem neu dazu gekommenem Sektor und daraus folgender Sozialisierung immer schwieriger, mich in meinen Fußballteams noch wohl zu fühlen. Ursache dafür war aber schlichtweg das Glück, in ein komplett anderes Umfeld zu kommen, mit mir bis dato fremden Themen und Positionen. Und der überwiegende Großteil davon erschien mir schlüssig. Eine globale und antispeziestische soziale Denkweise trat in mein Leben, mit der ich zuvor schlichtweg nicht konfrontiert wurde. So selbstverständlich das heute auch alles für mich ist und so sehr ich auch glaube (aber nicht weiß), dass ich das früher oder später auch von alleine erkannt hätte: Diese Anstöße und diese Einflüsse waren für mich ursächlich dafür, um mich weiter zu entwickeln (Sprichwort-Bezug: "Umgang formt den Menschen"). Hinzu kommt, dass ich dadurch auch erst erlernt habe, mich immer neuen Positionen aus progressiven Kreisen zu öffnen, diese zu reflektieren und dann anzunehmen oder sie in Frage zu stellen. Eine Eigenschaft, die ich erst lernen musste und die natürlich auch noch heute fester Bestandteil meines Lebens ist.

Jetzt kann mensch natürlich sagen, dass das heute alles viel leichter und das Internet ja voll mit progressiven Inhalten ist. Ja. Aber die Bereitschaft, das Interesse und das Erkennen, dass diese auch (für mich) die richtigen sind: Dazu benötigt es mehr, als das bloße Vorhandensein.

Hätte ich den Fußball nicht auch aktiv ein Stück geliebt, hätte ich spätestens mit 23 in den Sack hauen müssen. Unfassbar grausame Kabinengespräche, vor allem was Sexismus angeht, habe ich damals ständig erlebt. Aber auch Homophobie und (latent und offen) rassistische Äußerungen waren immer wieder mit dabei.

Mit Gegengereden habe ich da tatsächlich irgendwann aufgegeben, weil ich ziemlich alleine da stand. Am Ende halfen immerhin zwei Vereinswechsel, um mich halbwegs wohl fühlen zu können (und zu erkennen, dass doch nicht fast alle Fußballer Arschlöcher sind). Trotzdem war es so, dass nur ganz, ganz wenige leute mal Themen über den Fußball (und sehr belangsloses Zeug) hinaus hatten. Und wenn es überhaupt mal um Politik ging, dann waren das Stammtischsprüche. Damals dachte ich halt auch schon (ohne das abwerten zu wollen), dass die Typen einfach nix anderen in ihrem Leben haben, als Fußball. Und - sicher auch nicht überall - ihre teils erbärmlichen Kabinengespräche und die Vereinskneipe mit ihren unsagbar (un)lustigen Liedern. Ohne irgendwas auch nur in irgendeiner Weise rechtfertigen oder relativieren zu wollen: Das hier ist bestenfalls ein Erklärungsansatz.

Natürlich reichen diese Erfahrungen längst nicht aus, um auch nur einen Millimeter Verständnis für so Typen wie Lehmann aufzubringen. Zumal mensch bei ihm ja eben auch nicht einmal mangelnde Bildung und Intelligenz als Mitursache heranziehen kann. Der hat studiert, der weiß sich auszudrücken, da bleibt für mich nur noch die oben erwähnte Beurteilung.

Was bleibt ist die bittere Erkenntnis, dass Profifußballer halt auch nicht großartig anders sind, als der Rest der Gesellschaft. Im Regelfall halt nur reicher. Und da kämen wir ja fast schon zum näxten Thema: Ewald hat so Recht. Scheißt auf Idole, verbrennt eure Autogramme! Aber das Fass machen wir vielleicht ein anderes Mal auf. ;)

Gute Nacht!