Eigentlich wollte ich erst gar nichts dazu schreiben. Zu klar die Angelegenheit. Und eh schon überall zu lesen. Ich komme aber auf Grund so mancher Reaktionen nicht drumrum, zumindest doch kurz meinen Senf dazu zu geben.
Ganz ehrlich: Jetzt nach der Recherche, wo das ganze Ding in die Diskussion geht, muss ich mir eingestehen, dass ich auch Jahre lang verdrängt habe. Dieser Moment, wo es losgeht und alle unisono einstimmen: "Das Herz von Sankt Pauli, das ist meine Heimat..." Gänsehaut! Schal nach oben, mitsingen, gleich geht das Spiel los! Doch losgelöst von der ganzen Stadion-Romantik hatte ich schon immer (vermutlich ziemlich tief vergraben) irgendwie unterbewusst das Gefühl, dass das nicht so wirklich passt. Die Person Hans Albers, die lokalpatriotischen Heimatgefühle, mit denen ich nicht wirklich was anfangen kann. Nee, das ist alles nicht so wirklich meins. Aber ich habe es erfolgreich verdrängt, mich bei jedem Heimspiel drauf gefreut und mitgemacht. Ist halt für uns ne Fußballhymne (geworden), da sind die Inhalte nun mal nicht immer durch und durch prickelnd. Und ich finde zumindest das in gewissen Rahmen sogar ok.
Und jetzt die Recherche. Und plötzlich erscheint alles in einem anderen Licht. Es tut im ersten Moment auch ein Stück weh, aber das Ding liegt für mich so eindeutig vor mir, dass ich als antifaschistischer Mensch gar nicht anders kann: Ich kann das Lied nicht mehr mitsingen und will es auch nie mehr bei uns im Stadion (und sonstwo) hören. Und im zweiten, ok, sagen wir dritten oder vierten Moment bin ich sogar ein Stück so weit zu denken: "Vielleicht ist es gut so, dass es jetzt so kommt, wie es kommt."
Ich bin der festen Überzeugung, dass es das war. Recherchiert, aufgearbeitet, Deckel drauf, Ende. Ja, dass wir darüber diskutieren ist völlig ok und auch gut so. Viele haben Redebedarf, denn eine Verbundenheit zu dem Song ist ja schon zwangsläufig gegeben. Und dass manche im ersten Reflex auch klammern, ist auch irgendwie nachzuvollziehen. Aber hey, es gibt wirklich wichtigeres als eine Stadionhymne. Insbesondere in diesem Kontext. Es ist nichts, was so nah mit dem Verein verknüpft ist, wie die Farben, das Wappen, etc.
Aber dass ich dann auf einmal so viele Stimmen gegen diese (hoffentlich bevorstehende) Trennung lese, damit hätte ich nicht gerechnet. Obwohl, ich glaube ich mache mir schon wieder was vor: Klar waren auch diese Stimmen zu erwarten. Und klar "müssen" wir uns auch mit diesen auseinandersetzen.
Klammern wir mal die "Werk vom Künstler trennen" und ähnliche Argumente aus. Auch Wortmeldungen die schon eine arg egoistische Komponente haben, indem sie sich erst gar nicht auf die Recherche beziehen und nur die Stimmung betonen: Die sind es mir dann doch nicht wert, überhaupt darauf zu reagieren.
Ein Argument ist, dass wir uns nichts von Nazis wegnehmen lassen sollten, was ja berechtigterweise bei Symboliken etc. schon mal greift, wo es zuvor nie einen Nazibezug gab. Das greift hier allerdings nicht. Es gibt keinen Song, den uns die Nazis wegnehmen wollen. Das Lied IST aus Nazihand, das ist was komplett anderes.
Aber es gibt auch Stimmen, die in die Richtung gehen, wir hätten uns den Song ja längst angeeignet und ihn positiv besetzt. Wir mit unseren Werten, die den Song neu intepretiert haben und ihn nach unserer Vereinnahmung zu einer Hymne gemacht haben, die zu uns passt und kaum noch was mit dem Ursprungssong zu tun hat. Das ist im Grunde die Argumentationsstruktur, die der Großteil der "Beibehalten"-Seite nutzt.
Und das sehe ich komplett anders: Wir haben nichts positiv besetzt. Die Phantastix haben den Song etwas schneller eingespielt, den Text 1 zu 1 übernommen und wir schallern den bis "gestern" noch vermeintlich unbeschwerten Song einfach fröhlich mit. Ein Hoch auf St. Pauli, auf den Stadtteil, und - das ist das Stück, was wir selbst rein interpretieren - auf unseren Stadtteilverein: Ja! Und natürlich diese "Unbeschwertheit", die sich aber nach den neuen Erkenntnissen auch schnell relativiert. Aber darüber hinaus? Never! Das reicht längst nicht aus, um den Ursprung zu negieren.
Mit dem Wissen von heute, passt da für mich auch nicht mehr viel zusammen. Jetzt, wo wir gerade erst von der Geschichte des Textdichters und seinen anderen Werken und Publikationen wissen, sollen wir uns den Song schon längst angeeignet haben? Ohne dieses Wissen von heute bereits? Nee, Leute, so leicht ist das nicht. Wir haben einen vermeintlich unbeschwerten Song mitgesungen, weil er von St. Pauli handelt, weil es sich toll anfühlte. Weil es ein Stück Verbundenheit war, sich gemeinsam einzustimmen, den lauten, gemeinsamen Gesang aufzusaugen, sich gut zu fühlen, sich vielleicht auch Mut zu machen oder die Vorfreude auf das Spiel rauszulassen. Das ist auch alles toll und das habe ich bei jedem Spiel genossen. Aber das hat für mich alles nichts mit dem zu tun, was ihr so schreibt. Es ist die gleiche Melodie wie damals (nur schneller und mit anderen Instrumenten aufgenommen) und es ist der gleiche Text, geschrieben von einer Person, die während des NS-Regimes Propagande für dieses betrieben hat.
Mit diesem Wissen (seine weiteren Werke und Publikationen) bekommt der Song für mich auch nochmal eine ganz andere Komponente. Manche mögen das abstreiten, aber selbst wenn dem nicht so wäre, bleibt der Textdichter die Person, die er ist.
Einige sangen vielleicht mit dem Hintergedanken und/oder Wissen, dass auch Hans Albers nicht gerade unumstritten ist, aber darüber hinaus ohne jedes weitere Hintergrundwissen. Jetzt sind aber weitere schwer wiegende Details bekannt, was ich nicht einfach so ignorieren oder schönreden kann. Und ich glaube nicht, dass gegen diese Recherchen überhaupt irgendein anderes Argument ankommen kann. Es wiegt einfach viel zu schwer.
Für mich steht jedenfalls fest:
Ich will keinen Text eines Menschen, der übelste Propaganda für das NS-Regime verbreitet hat, mitsingen! Ich will nicht nur nicht. Ich kann auch nicht! Und ich bin mir sicher, dass es vielen so geht.
Selbst wenn es nur 25% im Stadion sind, die das so sehen wie ich und deswegen dann doch an dem Song festgehalten werden würde: Wie soll das denn dann demnächst aussehen? Das Thema ist ja kein "kleines". Wer sich dagegen ausspricht, der tut das aus einer überzeugten antifaschistischen Grundhaltung heraus und nicht auf Grund einer Geschmacksfrage. Pfeifkonzert von jeder vierten Person im Stadion? Spielboykott? Jolly Rouge? Gegenproteste? Während die andere Seite doch weiter fröhlich mitsingt und versucht dagegen anzukommen? Nee, sorry, ich denke der Drops ist gelutscht. Für mich ist das ein Ding der Unmöglichkeit. So (teils überraschend) sachlich die Diskussion an manchen Stellen jetzt gerade auch (noch) sein mag: Das Thema hat aus meiner Sicht das Zeug ganz große Gräben zu reißen und es ist keins, was sich durch ein Mehrheitsverhältnis regeln lässt. Für mich gibt es da nur eine Lösung: Nie mehr "das Herz von St. Pauli". Und das ab sofort.
Und was kommt dann? Ist mir erstmal egal. Lasst da meinetwegen erst Mal ne Lücke klaffen, bloß nix überstürzen. Ich habe schon viele Vorschläge gehört, aber nichts hat mich wirklich überzeugt. Thees Uhlmann's "das hier ist Fußball"? ist wirklich so gar nicht meins. Mein Favorit wäre tatsächlich erstmal das hier* auf der Anzeigetafel laufen zu lassen, zumindest einen Teil davon. Muss aber auch nicht sein. Meinetwegen kann die Saison auch ohne Stadionhymne zu Ende gehen. Hauptsache der Song trällert nicht mehr. Und der ausgleichenden Gerechtigkeit wegen müssen wir dann - solange wir nix Neues haben - vielleicht auch nicht mehr manch grausame Gäst*innenhymne ertragen**. Positiv denken!
Gute Nacht!
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**) nein, ich finde es generell cool, dass wir auch die Gäst*innen-Hymnen spielen. Aber dem Prinzip "alle oder gar nicht" folgend... genau.