Samstag, 02.11.24, 15:30 Uhr
9. Spieltag, 1. Bundesliga (M)
PreZero Arena Sinsheim
Hoffenheim ist nicht Leipzig. Aber Hoffenheim ist Hoffenheim (ja, manchmal bin ich selber über meine Weisheit verblüfft). Das sollte auch als Einleitung reichen, der Rest ist bekannt.
Das Intro fern ab jedes sportlichen Bezuges
Heidelberg vom Philosophenweg (nette Wanderung) aus betrachtet.
Der eigenen Tradition verpflichtet (autschn) verbinden wir Auswärtsspiele so far away from da wo wir herkommen, mit Übernachtung(en). Problem: Wer will schon länger als nötig in Hoffenheim oder Sinsheim abhängen? Auf Grund gemachter Sandhausen-Erfahrung (gleiche rhetorische Fragestellung, anderer Ort) hat sich Heidelberg für diese Gegend als durchaus geeignet bei uns etabliert. Zwar ist Sinsheim nicht so nah wie Sandhausen, so dass das Stadion nicht per idyllische Wanderung durch Weinstöcke zu erreichen ist, aber.
Und so finden wir ein - angesichts des Komforts - überraschend erschwingliches Apartment im Stadtteil Rohrbach. Straßenbahn direkt vor der Nase (20 Minuten in die City/Altstadt), jedoch stellt sich die für unsere Verhältnisse fast schon luxuriöse Ausstattung auch gleich als Hindernis heraus. Lichtschalter, die mensch nicht einfach hin und her drücken muss sind nun mal nicht meine Welt und wenn sämtliche elektrische Bedienungen über ein und das selben Panel (?) gesteuert werden, stoße ich insbesondere Nachts an meine Grenzen:
Ich wollte eigentlich nur pinkeln und da es stockduster war, das dimmbare Licht im Bad auf kleinste Stufe stellen. Stattdessen verursachte ich eine Art extrem helles Blitzlichtgewitter in der gesamten Bude. Bei mir verursacht sowas umgehend eine starke Stressreaktion des Organismus, so dass ich hektisch auf irgendwelche Knöpfe rumdrücke, was aber weniger das Licht dimmt, als viel mehr sämtliche Rollos wieder öffnet. Das macht gehörigen Krach, kann aber noch getoppt werden, wenn plötzlich das Radio auf Volume 10 aus sämtlichen Boxen dröhnt. Irgendwann ist wieder Ruhe und alles dunkel und ich lege mich total fertig wieder hin. Pinkeln kann ich ja auch noch morgen.
Kennen solche Sorgen nicht: Wellensittich und Weihnachtsmann (am Philosophenweg in Heidelberg)
Vorher waren wir, wie bereits vor dem letzten Sandhausen-Spiel, in der Heidelberger Kneipe Eckstein. Damals war die Stimmung vor Ort eine ganz besondere: Es waren neben uns noch vier weitere Personen in der Pinte, die allesamt an der Theke saßen, mit jeweils 2 Barhockern Platz zwischen ihnen (ähnlich der ungeschriebenen Pissoir-Regel) und durchgehend starr geradeaus blickten. Das hat mir sehr imporniert.
Kneipe Eckstein von außen...
Dieses Mal ist es ganz anders. Es ist Helloween und die Hütte ist (gefühlt unabhängig davon) irgendwann gerappelt voll. Aus den Boxen dröhnt deutlich mehr Licht als Schatten wie z.B. Pascow, Misfits, Wizo, Billy Talent, ZSK, The Clash, Social Distortion, The Mighty Mighty Bosstones, Red City Radio und Berliner Weisse (Zuordnung Licht/Schatten bitte selber vornehmen).
Straße in Heidelberg-Rohrbach. "Boahr, ey!"
Die Kneipe selber hat - das wussten wir ja bereits - einen deutlichen FCSP-Anstrich: Eine Fahne, drei Schals, ne Hand voll Sticker und natürlich (aber zum Glück nicht nur) Astra im Ausschank. Wir können hier ganz gut abhängen, ich werde allerdings nie kapieren, warum mensch Getränke (Shots) "ficken" oder "Muttermilch" nennt. Sea Shepherd-Fahnen würde ich mir jetzt auch nicht unbedingt in mein Wohnzimmer hängen (Stichwort Paul Watson). Aber machen wir uns nix vor: Es ist ne Kneipe, in der Punkrock-Mucke läuft, Fußball gezeigt wird und die Menschen, die dahinter stecken, verbindet sicher auch ein antifaschistischer Grundkonsens. Das ist in der Summe schon mal mehr, als Heidelberg unseren Vorlieben sonst so zu bieten hat. In der Altstadt mit viel Laufpublikum kommt aber natürlich auch hier allerhand "gemischtes Publikum" zusammen, das wir ganz sicher nicht im nächsten AZ treffen würden. Und am Ende ist die Breite und Tiefe der Progressivität von Laden zu Laden und Mensch zu Mensch halt auch immer sehr individuell.
...und von innen.
Dann kommt der Spieltag
aka Matchday!
Wir nehmen den 12 Uhr-Zug (S5) von Heidelberg gen "Sinsheim Arena/Museum". Der braucht knapp 45 Minuten und es befinden sich mit uns bereits etliche weitere St. Pauli-Fans inside. Davon leider auch schon etliche "Saufpaulis", die halt Dinge machen, die viele übermäßig Bier trinkende Menschen so machen. Kurz gesagt: Es ist bereits jetzt anstrengend und je weniger ich selber konsumiere (das hat in den letzten Jahren bei mir sehr stark abgenommen), umso mehr fällt mir das natürlich auf.
... gibt es auch in Heidelberg.
Grundsätzlich habe ich wirklich gar nix gegen Menschen, die meinen sehr viel Bier trinken zu müssen, selbst im Fußballkontext. Ich bin weit davon entfernt, Menschen belehren zu wollen, wie sie ihr Stadionerlebnis zelebrieren. Allerdings ist meine persönliche Grenze da überschritten, wo diese dann ein Verhalten an den Tag legen, das nicht nur total nervt, sondern auch noch andere Menschen beeinträchtigt. Ich hab weder Bock mich von Betrunkenen umarmen und/oder vollsabbern zu lassen, noch auf Leute, die das ständige Hämmern gegen Fensterscheiben als geeignetes Stilmittel zum S-Bahn-Support sehen (während ein paar Sitzreihen weiter eingeschüchterte Kids hocken). Vom Blockieren von Türen (einfach nur weil es vermeintlich "lustig" ist) mal ganz abgesehen. Ja, ich weiß, "das gehört dazu" (really?) und ja, ich sag dann trotzdem was. Oder wie R. es so passend nach dem Dortmund-Spiel formulierte: "Ich steh auf dieses Fußballzeug und zeitgleich verabscheue ich nahezu alles daran."
Zum Glück sind wir ja Fans des FC St. Pauli und da ist vieles besser, als woanders. Soviel Arroganz Überzeugung kann ich durchaus vertreten, auch wenn die Baustellen manches Mal verdammt groß erscheinen (auch Baustellen, gegen die so ne S-Bahn-Fahrt eher zu vernachlässigen ist). Trotzdem sind die positiven Nischen hier für mich weitaus größer und deutlich mehr, als in den allermeisten anderen Fanszenen und ich weiß bei jedem Besuch ganz genau, warum ich hier stehe (nur um nochmal zu betonen, was wir eh alle wissen).
Ach ja, passt gerade so schön: Debbie hat eine neue FEMALE ST. PAULI Story draußen. Astrid und Marion von den Weiß-Braunen Kaffeetrinker*innen waren in ihrem Podcast zu Gast. Einmal mehr absolut hörenswert. Danke dafür!
Ankunft Bahnhof Sinsheim Arena/Museum oder andersrum, egal.
Zum Stadion sind es gut 20 Minuten Fußweg und hier und da stehen sporadisch ein paar Cops in der Gegen herum. Klappt alles ohne Zwischenfälle. Da offenbar gerade wieder Corona & Co. gut rumgehen, wird vor dem Stadion noch versucht etliche Ticket-Rückläufer unters FCSP-Volk zu bringen. Wie erfolgreich entzieht sich meiner Kenntnis.
In the middle of nowhere.
Der Eintritt verläuft um die Uhrzeit wie gewohnt stressfrei. Nervig sind allerdings diese hohen und engen Zugangsdrehdinger, wie diese Ausgänge an machen Freibädern oder in manchen UK-Stadien halt auch die Stadion-Eingänge. Dafür gibt es überdurchschnittlich viele Frauen-Klos, wie S. mir berichtet. Dass es hier keine All Gender- oder FLINTA*-Klos gibt ist natürlich genauso wenig überraschend wie nach wie vor trauriger Standard.
Wir sind im Oberrang H2, die Klappsitze sind natürlich praktisch, da wie gewohnt eh niemand sitzt und mensch so den vorbeiziehenden Personen gut ausweichen kann. Ein paar überaus engagierte Ordner*innen versuchen derweil Personen, die vom Steh-Unterrang in den Oberrang klettern wollen genauso davon abzuhalten, wie diejenigen, die sich im Nichtraucher*innen-Stadion eine Fluppe anzünden. Beides nicht sonderlich erfolgreich.
Und jetzt muss ich es leider doch noch schreiben, auch wenn ich zum Glück nur diese eine Person so vor Ort erlebt habe: Wenn mensch sich so zuschüttet, dass vom Spiel wirklich gar nix mehr mitzukriegen ist, ist es vielleicht doch cooler, die Karte Menschen zu überlassen, die wirklich Bock haben das Spiel zu sehen und im besten Fall noch das Team lautstark zu supporten.
Die Verkehrsverhältnisse waren dieses Mal offenbar nicht so scheiße, wie auf dem Weg nach Dortmund und entsprechend ist von Anfang an auch im gesamten Gäst*innenbereich Stimmung in der Bude. Dass wir von der anderen Seite wirklich gar nix hören ist jetzt vielleicht auch nicht soo verwunderlich. Dabei hat der Verein sich so bemüht und blendet beim "Fanlied" den Text auf der Anzeigetafel ein: Irgendwas mit "Deutschland", spätestens da hab ich aufgehört weiter mitzulesen.
Ansonsten hält sich das hier tatsächlich noch in Grenzen. Ja, die Musikauswahl ist wie in vielen Stadien zum weglaufen. Aber in Sachen Animationsscheiße ist es durchaus im Rahmen. OK, wer soll hier auch groß animiert werden.
Weit entfent von ausverkauft: Angeblich knapp 87% ausgelastet (26.199 Zuschauer*innen vs. 30.150 Plätze).
Es ist arschkalt, die Zugluft hier oben ist trotz allen Rumgehüpfes nicht auszublenden. Zum Glück ist das Spiel dann doch erwärmend genug und wir belohnen uns endlich mal mit 3 Punkten. Nicht nur, weil Nikola einen weiteren Glanztag erwischt hat. Spannend wie Hulle, gutes Spiel und ein 2:0 in der Nachspielzeit (Andreas Albers: Gönnung!) ist natürlich ein Garant für völlige Ekstase.
Nach dem Spiel geht es für uns noch (vermutlich kurz) vor Ende der Feierlichkeiten ab zurück in Richtung Bahnhof, wo wir noch in einen der beiden Spieltagzusatzzüge in Richtung Mannheim hüpfen können (17:59 und 18:10 Uhr sind wirklich scheiße knapp bemessen, der nächste reguläre käme um 18:40 und wer weiß, wie voll es DANN hier ist). Stadien am Arsch der Heide bringen da so einige Nachteile mit sich. Die Rückfahrt verläuft dennoch angenehmer, als die Hinfahrt. Wir hüpfen Heidelberg Altstadt raus, essen noch was und erklären die Auswärtsreise für beendet.
Und viel mehr gibt´s auch gar nicht zu berichten. Wie auch? Wir waren ja schließlich nur in Hoffenheim.
Gute Nacht!
Nachtrag: Leider gab es nach dem Spiel in Heidelberg noch einen Angriff von vier Männern auf einen FCSP-Fan, der mit seiner Lebensgefährtin unterwegs war. Dem Opfer wünschen wir von Herzen gute Besserung und dass es euch beiden den Umständen entsprechend gut geht!
Noch mehr vom Spiel:
Millernton: Belohnung